Reinhard Ermen

Herr Beckmann zeichnet ...
"fürs Schaufenster 09"

Museum Ostwall (MO) im Dortmunder U, 17.1. - 27.4.2014

Kunstforum International, Band 225, 2014, S. 284


Die Vorstellung, in einem Schaufenster auszustellen, mutet für einen Künstler möglicherweise an wie ein Alptraum, doch im Museum Ostwall, das im Dortmunder U (= Zentrum für Kunst und Kreativität) residiert, ist das anders. Das Fenster ist eine gläserne Außenwand zum Flur, durch die man ins Haus hineinsehen kann. Die Passanten schauen auf die Rückseite einer großformatigen Vitrine mit Auflagenobjekten der Sammlung Feelisch; vice versa also, wenn man so will, bietet sich eine attraktive freie Fläche. Hier waren schon Jürgen Stollhans oder Peter Piller zu Gast und Bazon Brock hat dort den „Museumsshop als Wunderkammer“ ausgebreitet. Der Blick von außen reicht freilich nicht. Wie jedes gute Schaufenster lockt auch dieses die Neugierigen in den Laden. 50 Meter weiter links ist der Eingang. Mit „Herr Beckmann zeichnet“ wurde die aktuelle Präsentation (09) onkelhaft-ironisch überschrieben. Bei dieser Fensterschau ist ein Besuch im Haus unabdingbar, denn die Arbeiten entfalten ihren ganzen Reichtum erst, wenn man ganz nah heran tritt.

Matthias Beckmann (*1965 in Arnsberg, lebt in Berlin) war im Herbst 2013 in Dortmund, er hat das Museum und seine Umgebung mit seinen Mitteln protokolliert. In drei Zeilen zu jeweils 31 Blättern (Din-A 4, Hochformat) zeigt er die Ergebnisse seiner Erkundung. Folgt man den Exponaten in Leserichtung, so ist ein Weg von Außen, also von der näheren Umgebung des mächtigen Kolosses aus den 20er Jahren, einer ehemaligen Brauerei, durch das Haus, über Rolltreppen und Zwischengeschosse in die beiden Museumsetagen zu erleben. Die angelegentliche Reportage endet nach dieser Logik auf der Dachterrasse. Die hier angedeutete Systematik macht nur einen Teil der dokumentarischen Arbeit aus, Beckmann nimmt charakteristische, aber eher beiläufige Szenarien in den Fokus und unterwandert damit eigentlich das objektivierende Darstellungsinteresse. Beckmanns Zeichnungen entstehen immer vor Ort, ohne Umwege, also auch ohne zwischengeschaltete Fotovorlagen. Der Künstler aktiviert einfach die genuinen Parameter seines Mediums, und jedes Mal sind die Betrachter verblüfft, wie viele Linien er braucht, um zum Beispiel den „Blick von der Rheinischen Straße auf die U-Bahn-Haltestelle Westentor“ (07) zu bannen und wie wenig es bedarf, um eine „Fotografie von Joseph Beuys beim Signieren seiner Intuitions-Kisten“ (57) fest zu halten. Es gibt keine Schraffuren, Beckmann pflegt eine geradezu unromantische, ja, aseptische Paradigmatik seiner Abbildungskunst. Er ergreift die sich bietenden Umrisse, deren Binnengliederungen, die Schattenfugen oder Ränder. Wie angeboren wirkt diese Fähigkeit der Wahrnehmung, ja, das Sehen scheint ihn auf lineare Reinformen geradezu zu verpflichten. Es herrscht eine übergeordnete Ausgeglichenheit, Beckmann demokratisiert das Gesehene, oder wie die Kuratorin Daniela Ihrig es mit schöner Sachlichkeit sagt: „In den Zeichnungen von Matthias Beckmann ist alles bildwürdig und gleichwertig.“ Gemeint ist, dass im Rahmen dieser linearen Erkundung zum Beispiel die Beschriftung eines Exponats: „Ernst Wilhelm Nay, Kleines Figurales Formbild 1948, Öl auf Leinwand“, die gleiche optische Attraktivität haben kann wie das Objekt selbst, an dem in diesem Fall der Blick ohnehin vorbeigeht und letztlich auf eine Kindergruppe im Raum „Kinetische Kunst und Zero“ fällt. Der listig gesetzte Ausschnitt zusammen mit der autonomen Lineatur, das macht den Reiz von Beckmanns Erkundungen ganz allgemein aus.

Alles, was Matthias Beckmann festhält, wird zu einem primären Ereignis des Mediums Zeichnung. Spannend dabei ist also weniger, was er protokolliert, sondern wie er es in Zeichnung auflöst, bzw. übersetzt. Das ist eine klassische Tugend der Moderne, deren Kind dieser Zeichner ohne Zweifel ist. Der motivische Impetus wird aber nie gänzlich ausgeschaltet, der Zeichner spielt gelegentlich mit dem Hintersinn des Motivs. Der scheußlichen Dekoration des Museums-Cafés (Restaurant/ Club „View“) gibt er so eine eigene Würde. Und wenn Matthias Beckmann das weltberühmte „Selbstportait mit Zigarette“ von Max Beckmann aufspürt, meint man ein augenzwinkerndes Einverständnis zu spüren, ja vielleicht sogar den lustvoll ausgekosteten Konkurrenzkampf zwischen Malerei und Zeichnung, zwischen Linie und Farbe. Wer ganz genau hinschaut, sieht wie die intelligenten Linien übers Blatt laufen. Man möchte einen Fadenzähler nehmen, um zu sehen wie diese ehrlichen Striche wachsen. Und manchmal geraten die Ansichten zu Vexierbildern, nämlich dann, wenn sich Raumtiefe und Liniennetz gegenseitig überholen.

 

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