Martin Blättner

Weickmanns Wunderkammer

Hommage mit Georges Adéagbo, Matthias Beckmann, Candida Höfer

Ulmer Museum, 3.3. - 13.5.2007

Kunstforum International, Bd. 185, Mai – Juni 2007

 

Drei Künstler, drei Welten und die Wunderkammer. Ein Kunst- und Naturalkabinett ist Ausgangspunkt einer Ausstellung. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches. Denn dass eine Sammlung oder die Tätigkeit des Sammelns zu den wesentlichen Bestandteilen eines Museums gehört, deren bedeutendste Aufgabe das Archivieren ist, muss nicht überraschen. Hellhöriger wird man dagegen schon, wenn sich zeitgenössische Künstler freiwillig in den Kontext einer bürgerlichen Sammlung des 17. Jahrhunderts stellen.

Die Hommage an die circa 100 Exponate des Kaufmanns Christoph Weickmann erhält ihre besondere Note erst durch die Umdeutung und dem aktuellen Umgang mit dem Fremden in einem solchen Kabinett der Kuriositäten, die zum Staunen einladen.

 

Ein Orakelbrett, "Fliegenwedel-Chroniken" aus Holz und Pergament und vor allem zwei Figürchen aus Pflanzensamen und Insektenteilen etwa machen den Reiz einer solchen kleinen, aber feinen Wunderkammer aus. Georges Adéagbo (geb. 1942) ist geradezu prädestiniert, die Sammlung im postkolonialen Zeitalter zu kommentieren, da die Mehrzahl der Objekte (der Elfenbein-Löffel, ein Männergewand oder das bereits erwähnte mysteriöse Orakelbrett gehören zum Beispiel dazu) aus Westafrika dem heutigen Benin eben seiner Heimat stammt.

Offenbar aus Respekt vor diesen Objekten baute Adéagbo (hierzulande ist er vor allem als Teilnehmer der dokumenta 11 in Kassel 2002 bekannt) seine Installationen nicht in der Wunderkammer selbst, sondern in den Nebenräumen der bürgerlichen Sammlung auf. So befinden sich seine Objektkästen und die vielen kleinen Teile, die auf dem Parkett oder an der Wand montiert sind, vor oder zwischen den Bildnissen der Ulmer Patrizier, des Bürgermeisters oder des Münsterpredigers Elias Veiel. Der lokale Bezug ist offensichtlich und die aktuelle Konfrontation ist durch die Vielzahl der durchwachsenen Stücke ebenso gegeben.

Eine Hierarchie kennt Adéagbo offenbar nicht. "Seid schöpferisch, indem ihr sammelt. Die Welt hat mehr Gesichter" lauten seine Kernsätze über eine Kunst, die mehr beinhaltet als eine Ansammlung von Andeutungen. Der Assoziationsbogen reicht von den Pop-Stars Tokio-Hotel, über den tiefen Fall der Britney Spears (Schlagzeile der Bild zeigt ihren Kahlkopf mit dem Titel: "Britney hielt es nicht einmal einen Tag aus") bis hin zu Ulmer und afrikanischen Heimatbezügen. Tageszeitungen, Illustrierten, gemalte Bildchen oder DVDs, Bücher und sogar Unterwäsche vereinen sich zu einem Panoptikum., das Hoch- und Trivialkultur Fetisch und Alltag erfolgreich verbindet. Auf dem aufgerollten Teppich zum Objektkasten haben Krippenfiguren ebenso Platz, wie die "Le Monde" oder "Südwest-Presse". Und immer wieder sprengen unerwartete Objekte wie eine Maske oder eine leere "Chardonnay"-Weinflasche den geordneten Museumsbezug einer historisch eingefrorenen Welt.

 

Die Fotografin Candida Höfer (geb. 1944) kennen wir ebenfalls von der dokumenta 11. Ihr distanzierter Blick ist auf ethnographische Sammlungen in aller Welt gerichtet, jedenfalls ihre Hommage auf die Wunderkammer im gleichen Haus. Mit ihrem Gespür für das Besondere lässt sie neue Sehweisen aus perspektivischen Ansichten zu, mit ihrem Weitwinkel erschafft sie einen größeren Zusammenhang als den üblichen oder sie zeigt die Objekte im Licht des Wechselspiels von nüchterner Bestandsaufnahme und Inszenierung. Hinsichtlich der kolonialen Trophäen von Objekten, die man gelegentlich getrost auch "Beutekunst" nennen könnte, zeichnet sich Höfer durch eine scheinbare Kommentarlosigkeit aus, die eine Vielzahl eigener Deutungen zulässt. Die theatralischen bis surreal verfremdeten Zusammenstellungen oder bizarren Verfremdungen dokumentieren eher Ästhetik in Reinkultur als Andeutungen der Kritik.

 

Matthias Beckmann (geb. 1965) hat sich als Zeichner auf Wunderkammern und Raritäten-Kabinette spezialisiert. Seine klare Linie erinnert in der Konsequenz fast schon an den antiakademischen Konturenstil der Nazarener im 19. Jahrhundert oder an die Präzision der modernen Technik, die auch der Computer ermöglicht. Wie bei Candida Höfer sind ungewohnte Raumperspektiven und ein hoher ästhetischer Anspruch im Spiel, der die Wunderdinge leise ironisiert oder verfremdet.

 

Zur Ausstellung erschien der Katalog Matthias Beckmann "Zeichenraum - Wunderkammer " mit 120 Seiten und S/W-Abbildungen zum Preis von 12 Euro. Die Installation von Georges Adéagbo wird bis zum 1. Juli 2007 verlängert.

 

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