Gabriele Beßler
„Mit Aura ist bei mir nix“
Zeichnungen von Matthias Beckmann
Kölner Skizzen, 26. Jahrgang, Heft 4, 2004
Eine wahrlich ernüchternde Äußerung des Zeichners Matthias Beckmann kürzlich in der Berliner Stadtzeitung „Zitty“ angesichts seiner Serie von Studien aus dem Deutschen Bundestag, die 2005 im dortigen Ausstellungsbereich zu sehen sein werden. In jenem Zyklus begegnet man seltener der geballten Würde des Hohen Hauses, vermittelt etwa durch deren Protagonisten, nicht den Symbolen der Macht und der Demokratie (vielleicht mit Ausnahme des Bundesadlers, aber selbst der scheint optisch eher in die architektonischen Verstrebungen des Plenarsaals verfangen) – es bestechen eher die Zwischenräume als die Zentren. Was nicht bedeutet, daß Beckmanns Zeichenstift nicht doch auf Wesentliches lenkte, auf Dinge und Konstellationen nämlich, die man ansonsten sicherlich sträflich übersehen würde.
Solcherart scheinbar kontextuelle Marginalien dokumentierte er in den vergangenen Jahren mehrfach; allerdings an Orten, wo eher Stille herrscht, wo Menschen meist flüsternd Zwiesprache halten und schweigend Kunst oder andere Exponate betrachten: Matthias Beckmann beobachtete in Betrachtung versunkene Museumsbesucher, hielt Ambiente fest und schwor perspektivisch auf Übergänge und architektonische Details ein, die die Atmosphäre eines jeden Museumsraums mit bestimmen, ohne eigentlich wahrgenommen zu werden. Bisher sind Zeichnungsfolgen etwa aus dem Duisburger Lehmbruck Museum, dem Museum Ludwig, auf Leporellos gefügte Abbilder aus dem Pariser Centre Pompidou, in einem Katalog zusammengefaßte Raum- und Bucheinblicke aus dem Troisdorfer Bilderbuchmuseum sowie zahllose Zeichnungen der von eigentümlicher Lebendigkeit geprägten (aber sicherlich doch ausgestopften) Tiere des Bonner Naturkundemuseum König entstanden, und nun umkreist Beckmanns Blick und Zeichenstift – in konsequenter Focussierung von Andachtsorten – Kirchenräume. Was Wunder, daß der aus dem westfälischen Arnsberg stammende Katholik bei diesen Einblicken wiederum die Erwartungen der Betrachter unterläuft – sofern nicht schon mit Beckmanns Stil vertraut – indem er ihnen weniger das ausschließlich Andachtsvolle darreicht, sondern erneut das Dazwischen, das Randständige oder, um in die religiöse Ikonografie hinüberzugleiten: das Profane im Sakralen.
Wo böte sich für solcherlei Beobachtungen ein besseres Terrain als im ‚Hillije Kölle‘, wo die 12 Romanischen Kirchen seit dem Jubiläumsjahr (1985) in inzwischen schon wieder etwas verblichenem Glanz, aber unvermindert magnetisch auf Gläubige, Besucher und auf den mal wieder in seine langjährige Wohnstatt zurückkehrenden Matthias Beckmann wirken – auch in St. Ursulas ‚Goldener Kammer‘ hat er vorbei geschaut. In ständigem Perspektivwechsel focussiert er mit bisweilen kargem Strich, was den Christen nicht nur heilig ist. „Das Ideal ist die konzentrierte Zeichnung, wie aus einem Guss, detailliert und dennoch offen“, bekennt Beckmann und erfaßt so den segnenden Jesus in St. Cäcilien (vulgo: Schnütgenmuseum) auf zunächst aus der Ferne und nähert sich allmählich entweder in leichter Untersicht oder aber in der Totalen von oben, verleiht der Pietà in St. Aposteln eine bedrängte und dennoch bedeutsame Abgeschlossenheit (vor oder hinter?) Gittern, gliedert andererseits zeichnerisch die Pfeilerplinten neben dem neuzeitlichen Lüftungsschacht in der Krypta von St. Maria im Kapitol ein. Tatsächlich „nix mit Aura“ ? Freilich desillusionieren Schilder wie „Alarm“ und die damit assoziierte Ausgrenzung des Betenden vom Altarraum oder zusammengeklappte Stühle, die so auch infolge eines Regengusses am Rande einer Gartenparty platziert sein könnten. Andererseits haben diese dokumentierten ‚Nebenerscheinungen‘ eine durchaus starke Präsenz, und dies nicht etwa, da sie im jüngst erschienenen Begleitkatalog („Kirchen“) – zur gleichnamigen Ausstellung in der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst in München –durch die benachbarten religiösen Zeichen und hochartifiziellen Skulpturen aufgewertet würden. Sie scheinen vielmehr einen Konnex herzustellen zu etwas, das außerhalb des Bildraumes liegt – zu jener Wirklichkeit in der man sich selbst bewegt vielleicht ?
Andererseits sind Kirchen nicht per se Inseln der Seligen, keine hermetischen Parallelwelten mehr. Und was die Wahrnehmung von profanen Details im Kirchenraum anbetrifft: oft genug war und ist er Aufnahmeort hereinbrandender Außenwelt. Irgendwo auf der Welt suchen noch heute politisch Verfolgte mit ihren Familien in Kirchen Zuflucht oder – wesentlich weniger dramatisch – ist es in Großbritanniens Kirchen ja durchaus üblich, dort auf mitgebrachten Stühlchen mal den Tee und ein Picknick einzunehmen, ein Brauch, der auch in unseren Breiten immer mehr Anhänger findet (‚Su jett kütt dabei eruss, wenn dä Paps(t) nix mi zu sachen hätt‘ - diese Aussage ist natürlich gefälscht, denn so etwas mag ein katholischer Fundamentalist kritisch anmerken, aber sicher kein Kölner ....).
‚Entauratisierung‘ hin oder her: das Beckmannsche Lineament ist gewissermaßen weltlich-demokratisch. Ob profan oder sakral: im jüngst entstandenen Zyklus „Kirchen“ dient jedes Detail und Fragment der Betonung des überwölbenden Ganzen.