Claudia Wahjudi

Adler überm Suppenteller

Matthias Beckmann protokolliert den Bundestag

zitty, Berlin, 14/2004, 23.06. - 07.07.2004

 

In Berlin hat er ein Zimmer mit Aussicht gefunden. Vor einem halben Jahr zog Matthias Beckmann von Köln nach Kreuzberg, aus Spaß, wie er sagt. Er hatte gehört, dass sich in Berlin leicht eine Wohnung finden ließe, besichtigte die eine und andere und unterschrieb kurzerhand einen Vertrag. Von dem  Eckzimmer, das ihm nun als Atelier dient, sieht Beckmann auf das Zentrum mit Fernsehturm. Ein Blick wie geschaffen für den 39-jährigen Zeichner, der in Düsseldorf und Stuttgart Grafik studierte: die Stadt in der Totalen, nah genug, um Details zu erkennen, aber hoch genug, um Distanz zum Alltag auf der Straße zu wahren.

Diese Perspektive bestimmt auch seine Zeichnungen. Matthias Beckmann arbeitet derzeit als Gast des SPD-Chefs Franz Müntefering im Deutschen Bundestag. Er zeichnet. Zum Beispiel eine Debatte im Plenarsaal, den Sitzungssaal des Haushaltausschusses, Fraktionssäle mit und ohne Christuskreuz an der Wand. Besucher in der Sicherheitsschleuse, Kameramänner, Fensterputzer, Monteure, Heizungsrohre, Getränkekisten und eine Vitrine mit Schießsportpokalen der Polizeimannschaft. Beckmanns Blätter handeln nicht von Personen und Parteien sondern von dem System Repräsentative Demokratie, wie es sich im Reichstag repräsentiert – mit Glaswänden, die Transparenz signalisieren sollen, Journalisten in ihrer Doppelfunktion als Sprachrohr und Kontrollorgan und dem Volk schüchtern auf dem Zuschauerrang. Das bescheidene Medium Zeichnung wird zu einem Instrument, das den unbescheidenen Politikapparat nüchtern analysiert. „Mit Aura ist bei mir nix“, sagt der Künstler.

Beckmann zeichnet Umrisse und architektonische Linien; Schraffuren, Schatten und Farben spart er aus. So lenkt er den Blick des Betrachters aufs Wesentliche, auf die Symbole von Hierarchien und Identitäten. Und macht gleichzeitig alles gleich wichtig: den Stapel leerer Teller so bedeutend wie den Bundesadler, den Protokollanten wie den Fraktionsvorsitzenden. So egalitär könnte Demokratie im Idealfall also sein.

Respekt vor Repräsentation kennt Beckmann nicht. Er zeichnet genauso in Kirchen und Museen. Auch die Werke der klassischen Moderne, für die die Besucher der Neuen Nationalgalerie Schlange stehen, reduziert er derzeit auf Form und Funktion. Scheinbar nebenbei arbeitet er so die Tricks heraus, mit denen Architekten, Museumsdirektoren, Staatsmänner und Kirchenherren Ehrfurcht erzwingen wollen. Seinen Hang zur Subversivität tarnt er mit Humor. So musiziert er gelegentlich mit seinen Stuttgarter Kollegen Jörg Mandernach und Uwe Schäfer, mit denen er in dem Künstlertrio Die Weissenhofer zusammenarbeitet, als Boy-Group von der Alm. Und ein Blatt ais der Bundestagsserie zeigt die Beine des Künstlers, der gerade im Paul-Löbe-Haus Kunst am Bau von Joseph Kosuth abzeichnet. Wie zufällig tritt da Matthias Beckmann das Wort „Geist“ in Kosuths Bodenarbeit mit Füßen. 

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