Anja Osswald

Punkt und Linie zu Oberfläche

Der Niedergelassene Arzt, September 2009, S. 74

 

Eine Nackte im Kontrapost auf einem Sockel stehend mit nach unten gewendetem Blick. In den Händen hält sie ein Stück Stoff, das ihre Blöße eher betont als verdeckt. Im Hintergrund ist eine angedeutete Wand mit Gemälden zu sehen, davor verteilt Betrachter, die in die Betrachtung eben dieser Gemälde vertieft sind: Mit wenigen Strichen verdeutlicht Matthias Beckmann in seiner Radierung eine klassische Museumssituation.

Der virtuose Umgang mit linearen Skripturen, die Räume mehr erahnen lassen, als diese auch tatsächlich auszufüllen, gehört zu den Charakteristika von Matthias Beckmann. 1965 in Arnsberg geboren, studierte er von 1994-1989 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Franz Eggenschwiler. Nach dem Abschluss als Meisterschüler folgten zwei Jahre an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Seitdem hat sich Matthias Beckmann vor allem als Zeichner einen Namen im Ausstellungsbetrieb verschafft.

Der seit Jahren in Berlin lebende Künstler gehört zu einer Generation von Zeichnern, die sich ganz bewusst auf die klassischen Qualitäten des Mediums beziehen. Eine Zeichnung konturiert Objekte durch Linien. Als Grenzmarkierungen zwischen Innen und Außen definieren diese den gezeichneten Gegenstand in seiner flächigen Ausdehnung und codieren als Umriss die spezifische Semantik seiner Form. Eben dieser Purismus mag dazu beigetragen haben, dass die Zeichnung in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung im Kunstbetrieb erlebt hat. Gerade vor dem Hintergrund der glamourösen technisch basierten neuen Bildwelten im aktuellen Ausstellungsgeschehen entwickelt das „alte“ Medium der Zeichnung mit einer Konzentriertheit der Linie, ihrer Reduktion der Mittel, der formalen Abstraktion sowie einem offensiven „handmade“-Charakter subversive Qualitäten.

Matthias Beckmann ist ein Meister der Askese. Ausgestattet mit Zeichenblock, Druckbleistift und einem dreibeinigen Anglerhocker zeichnet er direkt vor Ort, in oft stundenlangen Sitzungen und im konzentrierten Blickwechsel mit dem Motiv. Dabei bleibt jeder Strich, der im Skizzenblock Gestalt gewinnt, stehen. Beckmann korrigiert nicht, Radieren ist ein no go. Seit Jahren gilt sein Interesse öffentlichen Räumen. Museen, Kirchen, der Bundestag oder die MoMA-Ausstellung in Berlin werden zu Schauplätzen seiner zeichnerischen Analysen vor Ort, in denen die Artefakte der Hochkultur – Exponate in Museen und Ausstellungen, Kircheninterieurs, Skulpturen – gleichbedeutend neben dem alltäglichen Geschehen stehen, das diese öffentlichen Räume prägt. So wird der Betrachter neben Zitaten aus der europäischen Kunstgeschichte konfrontiert mit gelangweilten Museumsaufsichten in schlecht sitzenden Hosen, mit Besuchern in Warteschlangen ebenso wie mit allerlei technischem Gerät - Steckdosen, Putzeimern, Luftbefeuchtern, Beschilderungen, Kabeln und Absperrvorrichtungen. Seine Zeichnungen sind Ausschnitte: vor Ort entstandene Momentaufnahmen von Situationen oder räumlichen Settings aus verschiedenen Perspektiven und zu unterschiedlichen Zeiten. Konzentriert auf die Umrisslinie zelebrieren sie einen Purismus der Form, der allerdings - und das ist das Entscheidende bei Beckmann – durch das Arbeiten in Zyklen und Werkgruppen in die Zeitachse gedehnt wird. So steht die einzelne Zeichnung nicht für sich, sondern kommuniziert mit der jeweils nachfolgenden, nimmt Kontakt auf zur nächsten und animiert den Betrachter dazu, Verbindungen zwischen den Blättern herzustellen. Die gezeichneten Oberflächen erhalten auf diese Weise eine zeit-räumliche Verortung. Man könnte auch sagen: Sie werden filmisch.

2007 hat sich Matthias Beckmann nach einer längeren Pause wieder der Technik der Radierung zugewendet . Ebenso wie in den Zeichnungen arbeitet der Künstler auch hier direkt vor Ort und kultiviert damit eine für die Technik der Radierung eher ungewöhnliche Arbeitsweise. Anstelle des Skizzenblocks hat er eine Kupferplatte im Handgepäck und ritzt in die darauf aufgetragene Lackschicht. Auf Vorzeichnung und eine korrigierende Nachbearbeitung wird verzichtet. Die daraus resultierende Spontaneität und Frische ist den kantigen und zum Teil fahrigen Lineaturen der Graphiken eingeschrieben und verleiht den Blättern eine nervös-flirrende Intensität.

In Texten zu seinem Werk wird Beckmann bisweilen das Etikett des Chronisten verliehen. Tatsächlich ist seine Arbeitsweise geprägt durch einen distanzierten Blick. Beckmanns graphische Arbeiten sind nicht als Kommentar zu verstehen, sondern eher als eine Bestandaufnahme des Sichtbaren. „Mit Aura ist bei mir nix“ kommentiert der Künstler seine Arbeitsweise lakonisch. In Umrisskontur und architektonischen Linien wird gezeigt was zu sehen ist. Trotzdem trifft das Label des Chronisten nicht genau zu, denn Matthias Beckmann geht es ebenso wenig um eine subjektive Betrachtung wie um eine objektive Erfassung des Gesehenen. Was ihn fasziniert sind vielmehr die Oberflächen, die graphischen Strukturen und Ordnungsverhältnisse der Dinge im Raum. Es gibt keinen Fokus, kein Zentrum. Alles erscheint gleich-gültig: die klassizistische Statue, die Betrachter, die angedeuteten Gemälde im Hintergrund: alles wird gleichermaßen Teil eines Geflechts von Linien, das bisweilen fast ornamentale Züge trägt und den dargestellten Raum in Fläche verwandelt.

Aus dieser Perspektive fügen sich die Radierungs-Serien, aus denen das Blatt der „Großen Badenden“ in die Logik der Zeichenserien, die Matthias Beckmann in den vergangenen Jahren in öffentlichen Sammlungen, wie der Abguss-Sammlung antiker Plastik in Berlin, in der Flick-Collection im Hamburger Bahnhof, im Bonner Naturkunde Museum aber auch im Deutschen Bundestag und in diversen Kirchen realisiert hat. Es handelt sich immer um öffentliche Räume, in denen Objekte bar eines Gebrauchswerts freigestellt und entsprechend einer die jeweilige Örtlichkeit definierenden Logik sortiert und inszeniert werden. Deshalb lassen sich seine Museums- und Ausstellungsserien auch nur sehr bedingt mit auf den ersten Blick vergleichbaren Herangehensweisen im photographischen Oeuvre eines Thomas Struth beispielsweise oder Candida Höfer vergleichen. Matthias Beckmann geht es weder um Repräsentations- noch um Institutionskritik. In seinen Zeichnungen und Radierungen sind eine antike Plastik, eine ausufernde Installation von Jason Rhoades, die Parlamentarier im deutschen Bundestag und die Menschenschlange vor der MoMA-Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie allesamt „Objekte im Raum“ (Matthias Beckmann).

In der graphischen Verknappung auf die Linie behaupten sich diese Objekte im Spannungsfeld von autonomem Linienwerk und Repräsentation.

 

 

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