Matthias Beckmann

Interview zum Zeichenprojekt im rbb
anlässlich der Ausstellung im rbb Fernsehzentrum
im September/Oktober 2014


Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den rbb und die Menschen hier im Sender zu zeichnen?

Ich hatte die Idee im rbb zu zeichnen da ich dort eine Fülle interessanter Motive erwartete. Hier sind ganz unterschiedliche Bereiche unter einem Dach vereinigt: Radio, Fernsehen, Redaktionsräume, Studios, der ganzen technische Bereich - dazu ein bedeutendes Orchester, ein Ballett mit Geschichte, Werkstätten, Depots. Nicht zu vergessen die Architektur, vor allem das wunderbare Haus des Rundfunks mit dem grandiosen Foyer.
Meine Zeichenserien, für die ich ganz unterschiedliche Orte und Institutionen besuche,  haben einen dokumentarischen, fast journalistischen  Ansatz. So war es besonders interessant einmal als zeichnender Chronist diesen Ort festzuhalten, der in besonderem Maße für Journalismus steht und für die Produktion innerer wie äußerer Bilder.
Der rbb ermöglichte mir die Ergänzung meiner Zeichenserien zur Erkundung der Welt. Ich möchte mich für die wunderbare und tatkräftige Unterstützung durch die Intendantin Dagmar Reim, Prof. Rudolf Großkopff, Verena Keysers und allen Mitarbeitern bedanken, die mir auf unkomplizierte Art die Türen geöffnet haben. Ich bin gut aufgenommen worden und darf nun auch noch am Ort der Entstehung meine Zeichnungen zeigen.

 

Welches war das reizvollste Motiv im rbb und warum?

Besonders reizvoll ist vor allem die Fülle ganz unterschiedlicher Bereiche, die ich hier vorfinde. Es gibt kein Lieblingsmotiv. Spannend war es bei einem Drehtag für den Tatort "Gegen den Kopf" dabei zu sein. Wobei die Leiche ein besseres Motiv abgab als die beiden Kommissare, die schneller auf- und abtreten und sich mehr bewegen. Werkstätten und Depots sind grundsätzlich interessant, da es hier improvisiert und nicht allzu ordentlich zugeht. Das freut das Auge des Zeichners. Überhaupt ist der Blick hinter die Kulissen aufschlussreich. Einmal erleben wie die Abendschau produziert wird, wie eine Redaktionssitzung abläuft, wie die Arbeit im Radiostudio ist. Das große Fernsehstudio mit Moderatoren, Kameraleuten, Assistenten, Kameras, verschlungenen Kabeln, Scheinwerfern und der speziellen Verquickung von Mensch und Technik bietet interessante Perspektiven und reichhaltige Motive. Je komplizierter desto besser.

 

Wie schafft man es, eine lebendige Studio-Situation oder ein Orchester bei der Arbeit – also in Bewegung – so präzise zu zeichnen?

Radiomoderatoren bleiben an ihrem Platz, Cutter tun in Ruhe ihre Arbeit, und auch Musiker lassen sich gut zeichnen da sie wiederkehrende Bewegungen ausführen. Schwieriger ist es bei den Tänzerinnen und Tänzern des Balletts, da sich die Körper um die eigene Achse drehen und schnell bewegen, sodass man eine angefangene Position selten sinnvoll weiterzeichnen kann. Einen Fotoapparat möchte ich nicht als Gedächtnisstütze einsetzen. Also versuche ich, die Gesamtsituation zu erfassen und bei den Tanzfiguren zu improvisieren. Wie schon Edgar Degas im 19. Jahrhundert finde ich die ruhenden Tänzer besonders reizvoll. Ruhe, Warten und Langeweile werden allgemein unterschätzt. Sie sind die eigentlichen Voraussetzungen der Inspiration.

 

Wie entsteht die Idee zu einer Serie? Welche Kriterien muss ein Objekt erfüllen, damit Sie es zu Papier bringen wollen?

Mich reizt es immer wieder neue Orte und Institutionen zu entdecken. Besonders schön ist es, wenn eine Institution so groß und bedeutend ist, dass sie exemplarisch wirkt. So war ich bereits an vielen Orten zu Gast: im Deutschen Bundestag in Berlin, in den romanischen Kirchen in Köln, in der Charité, im Daimler-Automobilwerk in Sindelfingen bei Stuttgart, in vielen großen Museen, in 88 Berliner Künstlerateliers - von John Bock bis zu Karin Sander.
Ich möchte stets möglichst viele unterschiedliche Aspekte eines Ortes festhalten. Abgesehen von den Inhalten interessiere ich mich vor allem für komplexe räumliche Situationen, gerne mit technischen Geräten, die ich nicht verstehe und deshalb rein ästhetisch wahrnehme. Besonders liebe ich auch die stille Komik des Alltags, die aus dem Aufeinandertreffen des scheinbar Unvereinbaren entsteht. Ich freue mich über den Anblick eines Putzeimers neben dem Weihwasserbecken einer romanischen Kirche in Köln. Das Heilige und das Profane, das Bedeutsame und das Banale gehören unbedingt zusammen. Wo ich die Komik des Alltags im rbb fand, werde ich hier nicht verraten.

 

Sie arbeiten ausschließlich mit dem Bleistift, Ihre Bilder sind sehr detailgetreu, aber dabei auch sehr „unaufgeregt“. Wie sind Sie zu diesem Stil gekommen?

Als Zeichner versuche ich mich von den Orten, Personen oder der Aufgeregtheit der Situation nicht beeindrucken zu lassen. Meine Aufgabe ist es zu beobachten und Linien auf dem Papier zu ziehen. Innere Gefühle oder Wertungen sind nicht von großem Interesse. Ich habe immer schon viel nach der Natur gezeichnet, zum Teil auch zu reinen Übungszwecken. Später dachte ich dann, dass die Kunst doch mehr Konzeption, Gedanken, Erfindungen, ausgeklügelte Bildkompositionen und Strenge verlangt. So entstanden sorgfältig schraffierte Bleistiftzeichnungen, aufwendige Aquarelle und eine wenige Acrylbilder, die jeweils durch Ideenskizzen und Bildkonstruktionen vorbereitet wurden. Als ich 2001 mit einem Stipendium in Paris was, wollt ich einfach wieder nur zeichnen was ich sehe und ein visuelles Tagebuch führen. Da sich das bewegte Leben besser und schneller mit bewegten Linien einfangen lässt als mit zeitaufwendigen Schraffuren, kam ich zur reinen Linienzeichnung.

 

Ihre Zeichnungen wirken wie aus einem Guss, als hätten Sie den Stift nicht absetzen, nichts korrigieren müssen. Stimmt der Eindruck? Und wie lange brauchen Sie für eine Zeichnung?

Das stimmt. Ich möchte, dass die Zeichnung mühelos und wie aus einem Guss wirkt. Eine Linie, die ich gezogen habe, wird nicht mehr korrigiert. Wenn ich doch einmal radiere, ärgere ich mich nachher über die Radierspuren. Also lasse ich es lieber. Die Zeichnung muss nicht perfekt sein. Es reicht wenn sie schlüssig wirkt. Wichtig ist vor allem, dass sie schön ist. Für eine komplizierte räumlich-perspektivische  Darstellung mit vielen Details benötige ich 45 Minuten oder selten etwas mehr als eine Stunde. Menschen zeichne ich bedeutend schneller, da man nie weiß wann sie sich bewegen, plötzlich aufstehen und den Raum verlassen werden.

 

Sie leben und arbeiten in Berlin. Was bedeutet Ihnen Berlin? Wie beurteilen Sie die Rolle der Stadt als „Kunst-Mekka“?

Berlin ist super und hat viel zu bieten. Als ich 2003 aus Köln hierher kam, musste ich mich zunächst an die völlig andere Mentalität gewöhnen. Mittlerweile finde ich mich hier gut zurecht und entdecke die Liebenswürdigkeit der Berliner, die mir zunächst verborgen geblieben ist. In Berlin gibt es viel zu sehen und für einen Zeichner, der gerne genauer hinschaut, ist es eine ideale Stadt.

Seit der Wiedervereinigung hat sich Berlin zur Kunstmetropole Deutschlands entwickelt und zieht wie ein Magnet Künstlerinnen und Künstler an. Ob das so bleiben wird, muss sich noch zeigen. Berlin hat keine gewachsene bürgerliche Tradition des Kunstsammelns wie etwa das Rheinland. Einer wachsenden Anzahl von Künstlern steht eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Sammlern und Käufern gegenüber.
Es kommt darauf an, was die Stadt Berlin, die sich gerne mit der Kultur schmückt, für ihre Kulturszene tut. Neben den großen Museen, Opernhäusern und Theatern sind es vor allem die vielen Künstlerinnen und Künstler, die freien Aktionen und Projekträume, die die kulturelle Vielfalt und Attraktivität ausmachen. Viele Künstler kamen hierher, weil die Mieten für Wohnungen und Ateliers und die allgemeinen Lebenshaltungskosten günstig waren. Das ändert sich mittlerweile. Die Preise steigen. Die Initiative "Haben und Brauchen" der freien Berliner Kunstszene fordert, dass 100% der geplanten Berliner Citiy Tax-Einnahmen für freischaffende Kulturproduzenten, Projekträume und Spielstätten sowie prekär arbeitende Kunst- und Kulturinstitutionen verwendet werden sollen. Kunst ist nicht nur ein attraktiver Standortfaktor, Kunst und Kunstproduktion kosten auch Geld. Und Künstler brauchen Geld zum Leben und bezahlbare Ateliers. Hier steht die Stadt Berlin in der Verantwortung.

 

Vielen Dank!

 

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