Matthias Beckmann


Bericht aus Bangalore

Nach einigen Wochen in Bangalore verstehe ich einiges besser und vieles nicht. Das ist nicht so schlimm, denn ich will nur beobachten und aquarellieren.

Durch eine Kooperation der Lichtenberg Studios in Berlin mit 1Shanthiroad Studio/Gallery in Bangalore kann ich mit einem Stipendium des Goethe-Instituts hier sein. Uwe Jonas, Leiter der Lichtenberg Studios, meinte, dass es eine gute Idee sei, in Indien auf den Spuren der kolonialen britischen Reisezeichner zu wandeln. Ich will vor Ort eine Serie von Aquarellen erstellen, die sich mit dem Leben und Treiben in Shanthinagar beschäftigen. Das ist der Stadtteil, in dem das Künstlerhaus 1Shanthiroad liegt, in dem ich wohne.

Auf sein Elternhaus hat Suresh vor 20 Jahren durch eine befreundete junge Architektin dieses phantasievolle, verschachtelte Haus bauen lassen. Treppen hinauf und herunter, verschiedene Etagen, ein offener Innenhof mit vielen Pflanzen und eine Dachterrasse. Ich habe es gut getroffen. Toller Gastgeber, tolles Haus, tolles Essen und ein schönes Zimmer.

Ich habe einen kleinen Reiseaquarellkasten, Pinsel mit eingebautem Wassertank (hinten drücken, dann kommt vorne Wasser raus), einen Malhocker, Aquarellblöcke, Baseballkappe und natürlich Sonnencreme. Meistens zeichne ich zuerst mit dem Bleistift und arbeite dann mit Aquarellfarben weiter am Bild.

Das Schild der Shanthi Road könnt man als ramponiert bezeichnen. Ich sehe es als dynamisches Element, das mit seiner Form von der Bewegung in dieser Straße erzählt.

Überall trifft man auf geheimnisvolle Zeichnungen. Frauen säubern den Boden vor dem Hauseingang, bespritzen ihn mit Wasser und lassen weißes Pulver durch die Hand gleiten, sodass kunstvolle, zentrierte Ornamente aus einer Linie entstehen. Bangalore ist eine Metropole der Ein-Linien-Zeichnung. Hier bin ich richtig.

Die Bürgersteige in Bangalore sind eng, löchrig und voller Stolperfallen, doch niemand stolpert. Meist geht man am Fahrbahnrand entlang. Kühe können jederzeit und auf jede Weise die Straße überqueren. Menschen müssen es lernen. Falls ein Einheimischer auf die andere Seite will, kann man sich ihm anschließen. Sonst muss man es alleine wagen. Wichtig ist vor allem Gottvertrauen.

In der Shanthi Road und den umgebenden Straßen fand ich die meisten meiner Motive: Baustellen, kleine Läden, eine frisch gestrichene Moschee, einen hinduistischen Tempel und gleich in der Nähe einen Jain-Tempel.

Als ich eine Werkstatt für Motorradreparaturen zeichnete und aquarellierte, dauerte es nicht lange bis die Leute schauten was ich da so mache. Oft bleiben die Zuschauer von Anfang bis Ende meiner Arbeit neben mir stehen und verfolgen den Fortschritt. Die Inder sind offen und gastfreundlich. Und sehr neugierig. Sie wollen wissen woher ich komme, ob ich allein bin, wie lange ich bleibe, zu welchem Zweck ich dieses Motiv zeichne. Die Kinder fragen immer wieder ob das Bild nun fertig sei. Was für eine Frage. Solange ich daran arbeite, ist nichts fertig.

Wie schön die kleinen Dinge sein können, bemerkte ich an einem roten Karren an einer Straßenecke in meinem Viertel. Gleich um die Ecke liegt ein kleiner Tempel. Ich habe versucht, eine präzise lavierte Darstellung mit einer rein linearen Umgebung zu verbinden.

Die Cemetery Road ist ein Paradies für Zeichner. Hier liegen die Friedhöfe der großen Religionen Indiens: Hinduismus, Christentum und Islam. Ich stieß auf das prachtvolle Grabmal mit dem schnurbärtigen Mann auf dem Elefanten. So etwas kann man zu Lebzeiten in Auftrag geben, wenn man etwas auf sich hält. Auf dem hinduistischen Friedhof kann man mit dem Motorroller herumfahren oder man kann sich mit der Autorikscha bis zum gewünschten Ort bringen lassen. Als ich den Gott malte, dem hier geopfert wird, spendierte mir ein freundlicher Herr Wasser und Orangensaft. Das habe ich in Berlin nie erlebt. Berlin muss dazulernen.

Mein erstes Aquarell in Bangalore entstand auf einem Friedhof unweit des Botanischen Gartens Lalbagh. Dorthin flüchtete ich vor dem chaotischen Straßenverkehr, vor Autorikschas, Motorrollern und Gehupe. Überall in der Stadt findet man sehr lethargische Hunde. Einer davon lag auf der Friedhofsmauer.

Die offene Halle des Johnson Market wurde von den Briten gebaut. Die Fleischer zerteilten große Stücke vom Rind. Ich saß zuerst draußen und kickte ein kleines Fleischstück weg, das ohne Absicht nah zu mir geworfen worden war. Denn die Krähen und Raubvögel warteten schon und stürzten sich im Flug auf die Abfälle.

Im Zentrum des riesigen, quirligen City Market steht eine große, quadratische Markthalle. Auf den oberen Etagen werden vor allem gebrauchte Metallwaren verkauft, z.B. Bohrer in jeder Größe und Länge. Von der Galerie aus hatte ich einen schönen Blick auf die Körbe mit Blumen und Blumengirlanden. Rund um die Halle gibt es viele Gemüsestände, in den Seitengassen Waren aller Art. 

Eine Kuh musste ich natürlich auch malen. Diesmal direkt mit dem Pinsel gezeichnet. Die Kuh war schon weg, als ich den Rest des Blattes in Ruhe aquarellierte.

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