Sepp Hiekisch-Picard

Auf die Frage „Was ist der Sinn dieser Bilder?“ antworten zu können, hieße soviel wie den Sinn, das Unmögliche, auf ein mögliches Denken zurückzuführen. Auf diese Weise antworten zu wollen, hieße anzuerkennen, daß sie einen gültigen „Sinn“ hat.

René Magritte

 

Das künstlerische Werk Matthias Beckmanns problematisiert das Verhältnis von Betrachter und Kunstwerk. Es wirft Fragen der Identität, Repräsentation und Projektion im Prozeß künstlerischer Kommunikation auf und hinterfragt letztlich die Produktion und Rezeption des „Sinns“ eines Kunstwerks überhaupt. Beckmanns gezeichnete Figurationen tun dies auf eine unaufdringliche, aber nachdrückliche Weise: Vodergründig eindeutig lesbar, einen Sachverhalt bezeichnend, bringen sie den Betrachter dazu, seinem ersten Eindruck zu mißtrauen. Auf welche außerbildliche Realität verweist Beckmanns programmatisches Bildvokabular, welche „Geschichte“ wird von diesen so eindeutig denotierenden Darstellungen erzählt?

In der zehnteiligen Serie Randerscheinungen, mit Acrylfarbe auf Tischlerplatte gemalt, setzt der Zeichner Matthias Beckmann seine konsequente analytische Befragung der Ausdrucksmöglichkeiten einer gegenstandsbetonten künstlerischen Sprache mit malerischen Mitteln fort. Die Arbeiten sind streng komponiert, in den graugetönten Bildflächen sind an den Rändern Bildflächen ausgespart, in denen die aus früheren Serien des Künstlers bekannten zeichenhaften Gegenständen und Formen erscheinen: Leiter, Tisch, Auto, Vase, Lampe, Kabel, menschliche Gestalt und Köpfe – schematisiert, fragmentiert und von jeglicher Individualität befreit, gleichen sie den zeichenhaften Informationsträgern unserer Alltagswelt. Die Reduktion der Farbe auf einen grauen Flächenton in den Motivfeldern und abgestufte Grauwerte in der Zeichnung der Objekte und Figuren vermitteln den Eindruck einer anonymen Sachbuchillustration, deren nüchtern-präzise Darstellung einen eindeutigen semantischen Verweischarakter nahelegt.

Doch in Beckmanns Randerscheinungen läßt sich der „Sinn“ der Einzeldarstellungen und deren Bezug zueinander nicht festlegen. Die distanziert und emotionslos gezeichneten Gegenstände, Körperfragmente und standardisierten Gesichter erscheinen in den seriell-konstruktiven Bildordnungen merkwürdig entfremdet, in einen ort- und zeitlosen Schwebezustand versetzt. Die differenzierte zeichnerische Durcharbeitung, Plastizität und eindeutige Abbildhaftigkeit der figuralen Darstellungen kontrastiert mit der flächigen Gesamtkomposition. In der Abfolge der einzelnen Bilder mag der Betrachter glauben, Momentaufnahmen, Splitter eines Handlungsverlaufs zu erkennen, dessen Gesamtzusammenhang ihm nicht zugänglich ist. Der Versuch, in der narrativen Bildstruktur vermeintlich verschlüsselte Botschaften zu dechiffrieren, führt zu einer Unzahl von Lösungen: jeder Betrachter kann sich seine eigene Geschichte aus den Bildelementen zusammensetzen und ist gefordert, einen eigenen „Sinn“ herzustellen.

Matthias Beckmann spielt mit der Betrachtererwartung eines sinnkonstituierenden Kontextes, der sich nur als Spiel mit den Möglichkeiten subjektiver Kombinatorik einstellen mag. Das erkennende Subjekt wird sich der Vielschichtigkeit des Erkenntnisprozesses und der ihm inhärenten Projektionsleistung bewußt. Unscheinbar und unaufdringlich, damit dem semantischen Gehalt ihres Titels Randerscheinungen Rechnung tragend, stellen Beckmanns Arbeiten nachdrückliche Fragen – bei aller Strenge der Gestaltung provozieren sie spielerisch und ironisch „poetische Zündungen“ (Max Ernst), die unser eindimensionales Realitätsverständnis aufsprengen wollen.

 

 

 

 

 

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