Markus Müller

Matthias Beckmann

Innensicht

Das Graphikmuseum Pablo Picasso Münster

 

„Die Zeichnung ist die Redlichkeit der Kunst ... Die Farbe ist der Zierrat der Malerei, aber sie ist nur deren Hofdame ...“ Mit diesen Worten artikulierte der französische Künstler Ingres die Vorherrschaft der Zeichnung über die Farbe. In einem seit der italienischen Renaissance immer wieder kunsttheoretisch auflodernden Streit war über das Primat von „disegno“ oder „colore“ gestritten und debattiert worden. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Disput der Schulen und ästhetischen Dogmen durch die Kunstgeschichte.

Der in Berlin lebende und schaffende Zeitgenosse Matthias Beckmann stellt sich mit seinen Werken nicht nur entschieden auf die Seite der Verfechter des „Disegno“, nein dieser zeichnende Purist arbeitet so, als existiere die Farbe gar nicht oder müsse erst noch erfunden werden.

Mit einem faltbaren Dreibein bewehrt, das man aus Anglerbedarfsgeschäften kennt, hat er in zwei Arbeitszyklen im Graphikmuseum Pablo Picasso seine zeichnerischen Netze ausgeworfen. Das Museum ist das bevorzugte künstlerische Biotop von Matthias Beckmann. Ob im Centre Pompidou oder in der Berliner Nationalgalerie, der diskrete Herr mit Skizzenblock und Bleistift lauert auf seinem Dreibein auf optische Beute. In den Museen findet der Künstler eine Welt, die seinem Naturell und Temperament entspricht: es ist ein Universum, das per se von der Vielfalt optischer Eindrücke geläutert ist, Artefakte und klare architektonische Gliederungselemente und Raumfluchten bestimmen die museale Welt. So nimmt es nicht Wunder, dass das Foyer des Picasso-Museums und sein repräsentativer Treppenaufgang das zeichnerische Interesse von Matthias Beckmann in besonderer Weise stimuliert haben. Das zarte Lineament des Bleistifts beschreibt hier die klare architektonische Formsprache des Gebäudes. Matthias Beckmanns „line of beauty“ ist die reine Konturlinie, die die Gegenstände beschreibend über das Skizzenblatt mäandert. Die Zeichnungen von Matthias Beckmann sind graphische Werke in ihrer reinsten Form, lediglich der kontinuierende Linienfluss des Bleistifts beschreibt kompromisslos und präzise die Formsilhouetten. Kein An- oder Abschwellen der Linie, keine nervösen Kurvaturen und Schraffuren, lediglich die skrupulöse und hartnäckige Umschreibung der Dinge durch die Konturlinie waltet hier vor. Die Liniensprache des Matthias Beckmann fasst vielleicht in besonders griffiger Weise der von Mendolovitz geprägte Terminus des „Umrisses mit starrer Linie“ (Contour Lines of Unvarying Width). Korrekturen, gar Spuren des Radiergummis haben in der puristischen Linienwelt des Matthias Beckmann keinen Platz. Eher bleibt eine Zeichnung unvollständig, als dass der Künstler zu korrigierenden Hilfsmitteln greifen würde.

In der solchermaßen linear gefilterten und geläuterten Welt beschreibt Matthias Beckmann die Konfrontation des Museumsbesuchers mit dem Kunstwerk. In diesem zeichnerischen Universum verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Artefakt. So ist auf einer Zeichnung ein Picasso-Werk an der Museumswand nur summarisch auszumachen, während eine Aufsichtskraft porträthaft durchgebildet ist. Das Kunstwerk ist in diesen Werken ebenso real oder irreal wie die Menschen, die es betrachten. Alles umgarnt Mattias Beckmann mit dem Ariadnefaden seiner zeichnerischen Beschreibung der Welt. Die in diesem Werk vorgestellten Zeichnungen bilden einen imaginären Rundgang durch das Picasso-Museum in Münster. Der englische Kunsttheoretiker Walter Crane hat im 19. Jahrhundert die Fähigkeit der Linie zur Umrisszeichnung einmal als „das A und O der Kunst“ beschrieben. Matthias Beckmann hat mit seinen Skizzenblättern ein zeichnerisches Vademecum  durch das Graphikmuseum Pablo Picasso Münster geschaffen, das den realen oder imaginären Besucher einstimmen mag auf eine Welt, in der die graphischen Künste zu Hause sind.

 

 

 

 

 

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