Maria Linsmann

Zeichnen vor Ort

Matthias Beckmann zeichnet im Troisdorfer Museum Burg Wissem

 

Die Idee zur vorliegenden Publikation – einem Museumsführer der etwas anderen Art – und der begleitenden Ausstellung entstand, nachdem wir auf eine Reihe von Arbeiten gestoßen waren, die Matthias Beckmann während eines Stipendienaufenthaltes in Paris in verschiednen Museen gezeichnet hatte. Die dort entstandenen lockeren Zeichnungsfolgen erkunden und dokumentieren durchaus subjektiv und ungeheuer treffsicher Ausstellungen, Sammlungsräume und Situationen in unterschiedlichen Museen. Dabei gilt Beckmanns Hauptaugenmerk nicht so sehr den einzelnen Kunstwerken als vielmehr ihrer Präsentation und dem Umgang der Besucher mit ihnen. Fasziniert von den Pariser Arbeiten luden wir den Künstler ein, im Troisdorfer Museum Burg Wissem vor Ort zu arbeiten. Matthias Beckmann hat diese Einladung angenommen und über den Zeitraum von einem Jahr immer wieder im Museum gezeichnet. Eine Auswahl dieser Zeichnungen haben wir nun in diesem Museumsbuch zusammengefaßt.

Das Bilderbuchmuseum Burg Wissem ist ein in Europa einzigartiges Spezialmuseum, das über eine umfangreiche Sammlung historischer und moderner Bilder- und Künstlerbücher sowie über die entsprechenden Originalillustrationen verfügt. In Sonderausstellungen werden unterschiedliche Themen und künstlerische Positionen aus dem Bereich Buchillustration und Künstlerbuch untersucht und vorgestellt. Die historische Bilderbuchsammlung Brüggemann ist in einem eigenen Bibliotheksraum ausgestellt, eine große Präsenzbibliothek lädt zudem Kinder und Erwachsene zum Schauen und Lesen ein.

Matthias Beckmann hat sich diesem Museum von verschiedenen Seiten genähert, er hat die Burgallee und das historische Herrenhaus Burg Wissem, in dem das Museum untergebracht ist, zeichnerisch erkundet. Er hat im Treppenhaus gezeichnet, in den Ausstellungs- und Bibliotheksräumen, in den Fluren und Winkeln des historischen Gebäudes. Die Wechselausstellungen des Museums, die jeweils circa 8 bis 10 Wochen zu sehen sind, bedingen eine teilweise höchst unterschiedliche Ausstellungsgestaltung. Beckmann hat diese Räume während verschiedener Ausstellungen gezeichnet – mal mit klassischer schlichter Hängung, mal gefüllt mit einer Vielzahl museumspädagogischer Objekte, mal menschenleer und verlassen daliegend, mal mit Besuchern und Besuchergruppen. Zwischen den einzelnen Ausstellungen müssen die Räume umgeräumt und manchmal auch renoviert und gestrichen werden, Vitrinen werden aus- und eingeräumt, Bilder auf- und abgehängt. Während des vergangenen Jahres wurden zudem im Dachgeschoß des ehemaligen Herrenhauses von Burg Wissem aufwendige Renovierungsarbeiten durchgeführt. Dies alles hat seinen Niederschlag in den Aufzeichnungen des Künstlers gefunden: Da stehen Farbeimer und Pinsel im Raum, herunterhängende Abdeckfolien durchziehen die Räume, Handwerker balancieren auf einer Leiter.

Wie schon in den Pariser Arbeiten spielen die Besucher, ihr Verhalten und ihr Umgang mit den Kunstwerken eine wichtige Rolle in Beckmanns zeichnerischen Erkundungen. Im Museum Burg Wissem sind das, bedingt durch die spezielle Thematik von Sammlung und Ausstellungen, häufig Gruppen von Kindern. Aber auch Erwachsene schlendern in Beckmanns Zeichnungen durch die Räume, blättern in Büchern und Katalogen, nähern sich vorsichtig neugierig, manchmal auch skeptisch verhalten den museumspädagogischen Objekten. Beckmann macht in seinen Zeichnungen den Betrachter selbst zum Objekt seiner und unserer Betrachtung und Reflexion. Neben diesen Darstellungen realer Situationen und Ansichten im Museum stehen solche Szenen, in denen die realistische Ebene durchbrochen wird und plötzlich beispielsweise Figuren aus Büchern der historischen Sammlung Brüggemann – so etwa Sybille von Olfers’ Wurzelkinder – aus dem Buchzusammenhang herausgelöst und vom Künstler in neue, spannungsvolle Zusammenhänge gesetzt werde.

Ungewöhnlich sind die wechselnden Perspektiven der Darstellungen Beckmanns: Ausschnitte, Auf- und Nahansichten. Diese vermitteln dem Betrachter der Zeichnungen den Eindruck von Bewegung, fast meint man selbst durch die Räume des Museums zu gehen.

Die Zeichnungen sind reduziert auf wenige Linien und Konturen, aus denen jeglicher expressiver Duktus verschwunden ist. Überflüssige Details, alles Anekdotische ist aus diesen Zeichnungen getilgt, klare Umrißlinien und der Verzicht auf Binnenzeichnung zwingen den Betrachter zur Konzentration auf das Wesentliche.

Beckmanns Arbeiten sind in einem überraschenden Spannungsfeld angesiedelt: Einerseits wählt er als Medium die klassische Form der Handzeichnung, zudem arbeitet er wie vor allem die Maler und Zeichner des 19. und frühen 20. Jahrhunderts „sur le motif“ – wie es Cézanne ausgedrückt hat. Die Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfolgten bekanntlich andere Vorstellungen und bearbeiteten vielfach die medial vermittelte Wirklichkeit, die Wirklichkeit aus zweiter Hand; eine Haltung, die dann ja auch in McLuhans These „The medium is the message“ seine theoretische Formulierung fand.

Andererseits verweist Beckmann in seinen Zeichnungen sehr bewußt auf Einflüsse von Fotografie und Film. Sein Verzicht auf einen persönlichen Duktus suggeriert eine Distanz und Objektivität, wie wir sie beispielsweise mit den Arbeiten von Künstlerfotografen wie Bernd und Hilla Becher und ihren typologischen Reihen verbinden. Tatsächlich aber sind seine Arbeiten Formulierungen seiner subjektiven Wahrnehmung, seines ganz individuellen Blicks auf Menschen, Räume und Gegenstände. Über diese Darstellung seiner persönlichen Betrachterhaltung hinaus sind seine Zeichnungen sehr einfühlsame, manchmal witzige, manchmal auch kritische Kommentare zu unserem Museum, zum Besucherverhalten und zum Umgang mit Kunst in Museen und Ausstellungshäusern generell.

Wir danken Matthias Beckmann dafür, daß er uns an seinem Blick auf unser Museum teilhaben lässt, aber auch für seine engagierte Mitarbeit an Ausstellung und Museumsbuch. Des weiteren gilt mein Dank Gerhard Theewen vom Salon Verlag sowie der Agentur Enorm für die grafische Gestaltung des vorliegenden Buches.

 

 

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