Kai Hackemann

Matthias Beckmann: Aquarelle

Drei Serien aus dem Jahr 1995

 

Matthias Beckmann hat seine Studienjahre in Düsseldorf und Stuttgart genutzt, um sich, ungeachtet der Tendenzen um ihn herum, im gegenständlichen Zeichnen zu schulen. Die Arbeiten, die seitdem entstanden sind, profitieren unübersehbar von der Intensität seiner Bemühungen um eine Darstellung, die die Untersuchung des Gegenstandes und nicht die Erforschung der eigenen Befindlichkeit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Dabei bedient sich Beckmann, der lange ausschließlich mit Bleistift und Radiernadel gearbeitet hat, nun auch der Aquarellfarbe, ohne sich deswegen aber als Maler zu definieren. Welches Etikett er sich oder andere ihm geben, ist letztlich ohne Belang, bedeutungsvoll, weil den Charakter seines Werkes prägend, ist aber die Tatsache, daß sich Linie und Farbe nicht extrovertiert entfalten, sondern dienende Funktion in einer ausgeklügelten Bildinszenierung übernehmen, die erdacht und präzisiert ist, bevor die endgültige Ausführung begonnen wird. Dann weicht er von dem einmal festgelegten Entwurf nicht mehr ab. Entwicklungen vollziehen sich nicht dadurch, daß spontane Ideen die Ausführung beeinflussen, sondern in den Zwischenzeiten, von Serie zu Serie.

Beckmann zeichnet und malt ohne Duktus; er verbannt, was als Ausdruck von Spontaneität und Emotion verstanden werden kann, denn es interessiert ihn nicht. Er begegnet seinen Motiven gedanklich, und dem entspricht auch die Art ihrer Darstellung. Die Dinge – gleich ob Lebewesen oder Gebrauchsgut – werden von individuellen Ausformungen gereinigt und erscheinen, so auf ihr Wesentliches reduziert, als Begriffsbilder. Ihre Identifizierung ist mühelos und eindeutig, das Gemalte erscheint wie ein geschriebenes Wort oder ein Piktogramm, wenn es in der Fläche bleibt. Ein Kopf ist immer ein Kopf, nie ein Portrait, ein Bauwerk ein aus geometrischen Flächen zusammengesetztes Gebilde, ohne Anzeichen des Bewohntseins.

Beckmann isoliert die Objekte im Bildraum oder präsentiert sie in rechteckigen und runden Parzellen innerhalb des Gesamtgefüges als Bilder im Bild. Er verwendet, wenn es sich um dreidimensionale Darstellungen, behutsame Hell-Dunkel-Modellierungen, die als Körperschatten Plastizität verleihen. In die Bildfläche gehende Schatten kommen nicht vor. So wird eine Verbindung von Figur und Grund vermieden, die Dinge schweben und die Künstlichkeit der grafischen Bildfläche bleibt erhalten. Isometrische Parallelverschiebung ersetzt häufig die Zentralperspektive. Da der Künstler außerdem auf stimmige Größenverhältnisse zwischen den Objekten verzichtet, wird dem Betrachter eine Orientierung nach den natürlichen Gesetzmäßigkeiten von Räumlichkeit verwehrt. Durch die Präzision und Scharfkantigkeit der Umrißlinien sind den Gegenständen feste Grenzen gesetzt, alles soll nur so erscheinen, wie es im Wesentlichen ist, soll hier anfangen und dort aufhören. Distanz herrscht innerhalb des Bildes und auch zwischen Bild und Betrachter.

Matthias Beckmann handelt strategisch, er arbeitet nicht an einzelnen Blättern, sondern in Serien. Diese konzipiert er in Prozessen, die ihn über Phasen freier Assoziation von Skizzen zu ausgearbeiteten Entwürfen gelangen lassen. Spielerisch findet er die Regeln, denen die Bilder einer Serie unterliegen, steckt er die Rahmenbedingungen ab, innerhalb derer er gestalterisch agieren kann. Beginnt er aber mit der Ausführung, sind Form und Umfang festgelegt, und er kann sich auf das einlassen, was ihm nicht weniger wichtig ist: mit Sorgfalt das Werk entstehen zu lassen.

Monumente

Diese sieben Aquarelle umfassende Serie vereint das gesamte bildnerische Repertoire Beckmanns. Ausgangspunkt sind prägnante Bauformen, wie sie die Architekturgeschichte hervorgebracht hat, wobei sowohl grundrißorientierte Formen wie das Kreuz als auch solche, die nur in der Dreidimensionalität erkennbar werden wie der Bogen, Verwendung finden. Sie sind in einen nicht weiter definierten Grund freistehend hineingesetzt und wie dieser monochrom grau. Jeweils ein „Monument“ ist einem Blatt zugeordnet. Dort bestimmt es, meist in entsprechender Vergrößerung, die formale Thematik, auf die sich akkompagnierende Motive beziehen. Soweit herrscht zwischen den Arbeiten der Serie Gemeinsamkeit. Abgesehen davon gibt es Abweichungen von unterschiedlicher Tragweite: die Positionierung der Leitfigur variiert, die Zahl der ihr zugeordneten Elemente und deren Farbigkeit. Bisweilen ersetzen runde die quadratischen Felder oder zwei Quadrate verbinden sich zu einem Hochformat. Doch solches entdeckt sich erst bei genauerem Hinsehen. Zuerst einmal dominiert der Eindruck von Regelhaftigkeit, den schon die immer gleiche Blattgröße aktiviert und der von der verhaltenen Farbigkeit noch verstärkt wird. Dennoch ist diese durchaus individuell gesetzt. Genauso, wie sich der Eindruck einer Gesamtsystematik um so mehr entzieht, desto intensiver ihr nachgespürt wird, verschwindet auch die Vorstellung den Bedeutungsgehalt eines einzelnen Bildes enträtseln zu können, denn jedes Requisit ist für sich vollständig und bedarf des anderen nicht. Da aber mehrere Objekte gemeinsam auftreten, entsteht zwangsläufig ein dialogisches Aufeinandereinwirken von Dingen unterschiedlicher Provenienz. Zweidimensionales steht neben Dreidimensionalem, Farbiges neben Monochromen, Gefaßtes neben Rahmenlosem. Manches hat den naiven Charme von Spielzeug, anderes erscheint ironisch oder trivial. Der Betrachter, der gelockt wird, die Ebene zu suchen, auf der zwischen allen Elementen eine logische Verbindung besteht, muß letztlich einsehen, daß diese so nicht existiert. Was ihm angeboten wird, sind Formalien: der gemeinsame Bildgrund, die Wiederholung und Variation einer einfachen geometrischen Figur und der Einsatz von Kompositionsmethoden wie Kontrapunktik, Vereinzelung, Gruppenbildung und Rhythmik. Nach der formalen Analyse wird er mit zum Teil absurden Kombinationen alleingelassen. Was hat ein Kopfhörer mit einer Burg und diese mit einem Planschbecken samt Ente zu tun? Die Geschichten, die so entstehen, entspringen der Phantasie des Rezipienten, sind einzig noch von seiner Assoziationskraft abhängig und unendlich variabel. Keine Lösung ist falsch, aber auch keine einzig richtig, und so schafft er sich seine eigenen Zusammenhänge, wird sich selbst zum Sinngeber, autonom, aber auch alleingelassen, weil er nicht mehr in ein allgemeingültiges Bedeutungsganzes eingebunden ist. Der Preis der Individualität ist die Vereinzelung. 

Vorschläge zur Bildhauerei

Direkt nach „Monumente“ entsteht ein Serie, die in ihrer Beschränkung auf eine Bildfigur auf den Detailreichtum der vorhergehenden Serie zu antworten scheint, „Vorschläge zur Bildhauerei“. Der Titel ist durchaus Programm. Es soll sich tatsächlich um Entwürfe in Gemäldeform handeln, die plastisch realisierbar wären. Über diese Vorgabe hinaus erweisen sich die Werke als von geheimnisvoller, ja magischer Kraft erfüllt. Es sind diejenigen Arbeiten des Künstlers, in denen Farbe am wirkungsvollsten zur Geltung gebracht ist. Wenige Abstufungen des immer gleichen, mit Schwarz gebrochenen Grüns wurden in mehreren Lasurschichten bis zu einem Stadium großer Dichte aufgetragen und erzeugen eine tiefe Transparenz. Immer ist das Umfeld dunkel, damit die Figur – obschon auch nicht wirklich hell – im matten Licht einer verborgenen Lichtquelle aufglühen kann. Das Objekt ist in die Mitte gerückt, beherrschend, bisweilen monumental. Die Motive sind unterschiedlicher Herkunft, können Architektur oder ein in einen Block geschriebenes Kürzel sein.

Der Serie vorangestellt ist eine sehr eigenwillige Arbeit. Zwei flache Gesichtsmasken sind durch Stangen derart miteinander verbunden, daß die eine sehen kann, die andere aber, geblendet, aus der Vorstellung die Welt imaginieren muß. So unterschiedlich befähigt, sind sie doch eine Einheit, die sich wechselseitig stabilisiert.

Die folgenden acht Arbeiten lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, die auf unterschiedliche Art und Weise die Thematik „sehen/vorstellen“ behandeln. Auf den ersten vier Bildern erscheinen plastische Körper, die wie Architekturen wirken. Sie sind jeweils aus zwei Elementen gebildet und so miteinander verbunden, daß nicht eindeutig zu sagen ist, ob der innere Körper – wie etwa der Schmuckstein eines Ringes – nun gefaßt oder regelrecht durchschnitten ist. Dies zu entscheiden bleibt dem Betrachter überlassen. In der zweiten Gruppe wird die Trennung als sichtbarer Schnitt durch den Körper konkret, er wird in Segmente zerlegt. Die Figur, um die es eigentlich geht, ist die, die das Auge zwischen den parallel verlaufenden Kanten der Trennfuge, im negativen Raum entdeckt: Nicht Sichtbares wird von Sichtbarem sichtbar gemacht. Der Interpret, dem Fehlendes zur Figur wird, vollzieht einen Wertewandel, indem er der Vorstellung Vorrang vor dem plastisch präsenten Körper gibt.

Tapetenbilder

In dieser aus sieben Aquarellen bestehenden Serie wendet sich Beckmann von der Beschäftigung mit monolithischen Körpern ab und dem Prinzip der Kontrastkopplung, das schon in „Monumente“ vorherrscht, noch kompromißloser zu. Jedes „Tapetenbild“ hat zwei Bildzonen: zum einen die Gesamtbildfläche, in die paßgenau ein sich wiederholendes Motiv als Muster eingearbeitet ist, und zum anderen ein Innenfeld, das alternierend rund oder rechteckig exakt in die Mitte des Hochformats gesetzt ist. Die Systematik ist lapidar: analog zum Bild an der Wand das Bild im Bild, spannungsvoll zu seinem Umfeld in Bezug gesetzt und doch entschieden von ihm getrennt. Die Figuren, die großflächig zum ornamentalen Rapport gefügt und mit einer Ausnahme planimetrisch sind, stammen, wie auch diejenigen im Zentrum, aus dem vertrauten Fundus. Sie tauchen immer wieder und in wechselnder Zusammenstellung in Beckmanns Werk auf, sind seine Spielzeuge und solchem bisweilen auch in ihrem Äußeren ähnlich – Hase, Ente, Mensch, Auto, Würstchen, Socke – ohne Hierarchie, eines so wertvoll oder wertlos wie das andere. Sie sind standardisierte Vertreter ihrer Spezies, die, widerstandslos zum Zeichen stilisiert, nun auch willig die Entwertung zum Detail eines Tapetenmusters hinnehmen, nicht einmal mehr nur Ding ohne Eigenschaften, sondern Ornament, vielfache Zierform, anonyme Masse. Daß sie – so eingesetzt – Material für Muster werden, die aus außerordentlich raffinierten positiven und negativen Flächen bestehen und von delikater Farbigkeit sind, ist wie eine ironische Umkehrung, denn bewußt wird das zuerst Entwertete mit den Möglichkeiten grafischer Gestaltung für den Betrachter wieder herausgeputzt.

Die Zeichen, Dinge und Geschehnisse des Alltags sind beliebte Requisiten einer Bilderwelt voller Rätsel; wo hat man den Autostau, das „Stoßstange an Stoßstange“ so sinnfällig dargestellt gesehen wie in dem entsprechenden Tapetenbild? Und was bedeutet es, wenn der anonyme Mensch dort auftaucht, ohne merklich zu behindern? Ist er Macher oder Opfer? Ist er ein Teil seiner Welt oder nur noch ein Detail? Matthias Beckmanns Arbeiten sind nicht solche, die die Fragen einer komplizierten Welt beantworten können oder wollen, sie sind nicht kritisch im Sinne von Anklage und Moral. Sie sind die Werke eines Künstlers, der mit Neugier und analytischer Lust darauf schaut, wie sich ihm die Welt zeigt und wie sie von anderen wahrgenommen wird. Deswegen ist das Oeuvre auch von Zitaten und Anspielungen durchzogen, die prägnante künstlerische Positionen unterschiedlichster Herkunft reflektieren – Dürer, Hockney, Arp, LeWitt, Heerich, Beuys, Brancusi, das Informel, den Konstruktivismus. Erinnert die Kombination disparater Objekte nicht an Dada, das Spiel mit den Phantasien des Betrachters an den Surrealismus? Beckmann kennt seine Quellen, weiß um diese Zusammenhänge und stiftet neue. Ihn fasziniert, daß Bedeutung entsteht, wenn etwas zum Bild wird, und daß diese Bedeutung keine statische Eigenschaft eines Dinges ist, sondern Veränderungen unterliegt. Es ist das Beziehungsspektrum zwischen den Erscheinungen, das er zeichnend und malend erkundet. Er tut dies mit einem feinen Gespür dafür, wieviel Strategie er braucht und wieviel Spiel er zulassen kann, ohne daß Beliebigkeiten entstehen. Solches Arbeiten benötigt innere Sammlung. Wenn in seinen Arbeiten Entindividualisierung und Vereinzelung als Motiv von Kunst und Gegenwart präsent sind, so findet die Abwehr der ersten und die Akzeptanz der zweiten im künstlerischen Tun statt. Was daraus resultiert, ist des Sehens wert, ist hintergründig, weil es auf Wesentliches schaut, ohne auf die Katharsis im Humor zu verzichten.

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