Christoph Peters

Matthias Beckmann – der Einzug der Alten Meister

 

Die Beziehungen zwischen Museen und Kirchen sind beinahe ebenso vielfältig wie die zwischen Kunst und Religion. Hier wie dort finden sich Bildwerke zur Betrachtung; beide Örtlichkeiten heben die Dinge, denen sie Einlass gewähren, die Begegnungen, die in ihnen stattfinden, aus der Alltäglichkeit heraus und positionieren sie in einem Sinngefüge, das der Deutung der menschlichen Existenz dient.

Im Verlauf ihrer Emanzipation vom Religiösen hat die Kunst ihrerseits eine quasi-sakrale Aura entwickelt und zumindest teilweise vergleichbare Funktionen übernommen. Der Ernst, mit dem sie angeschaut, die Unerbittlichkeit, mit der um sie gerungen, und die Entschlossenheit, mit der sie verteidigt wird, ähnelt zuweilen durchaus der Ehrfurcht und Opferbereitschaft, mit denen frühere Epochen das Heilige bedachten.

Adlige Sammlungen wie der Fürstlich Fürstenbergische Bilderschatz gewannen durch die im Zuge der Säkularisierung enteigneten Kunstwerke aus Kirchenbesitz beträchtlich an Umfang und Bedeutung und wurden so zu einem entscheidenden Zwischenglied auf dem Weg zur Musealisierung der Kunst. Ihrer Funktion im liturgischen Ablauf sowie ihrer Stellung in der Topografie des Kirchenraumes beraubt, verwandelten sich Sakralobjekte in Kulturgüter, die in ihren neuen Kontext unter gänzlich anderen Gesichtspunkten eingegliedert wurden: Bemaß sich die Bedeutung eines Werkes vormals am Gewicht des Dargestellten – die Christusfigur stand über der Madonna, die Madonna überragte die Apostel, der Apostel verdiente größere Aufmerksamkeit als die „gemeine“ Heilige –, rückte nun zusehends die Art und Weise der Darstellung in den Blick. Um die fortschreitende Weiterentwicklung der Ausdrucksformen sinnfällig werden zu lassen, orientierte sich die museale Präsentation in der Folgezeit meist an der Chronologie der gezeigten Werke, blieb im Übrigen aber wertneutral. Der Ursprung dieser additiv-nivellierenden Hängung findet sich im Aufbau und der Struktur wissenschaftlicher Sammlungen, die ebenso wie die adlig-repräsentativen und die angrenzenden Kuriositätenkabinette oder Wunderkammern unmittelbare Vorläufer des modernen Museums waren.

Matthias Beckmann hat in den vergangenen Jahren immer wieder die Inszenierung und Betrachtung der Kunst im musealen, aber auch im kirchlichen Rahmen zum Thema umfangreicher Serien gemacht. Wenn er jetzt den Einzug eines großen Konvoluts spätgotischer, hauptsächlich sakraler Malerei aus dem ehemals Fürstlich Fürstenbergischen Bilderschatz in die Johanniter-Halle Schwäbisch Hall mit seinem Bleistift begleitet, fügt sich dieser Anlass einerseits nahtlos in die Reihe voraufgegangener Projekte. Auf der anderen Seite entwickeln sich im Zusammenspiel der spezifischen Qualitäten und Vorgeschichten von Sammlung und Raum Beziehungsgeflechte, die die Eigentümlichkeiten der Beckmann’schen Kunst exemplarisch auf den Punkt bringen.

Das nachhaltige Interesse des Zeichners Beckmann an allen Arten von Sammlungen und Sammelsurien beruht vermutlich – abgesehen von den optischen Reizen, die sie bieten – auf der Verwandtschaft der musealen Präsentationsform des gleichberechtigten Nebeneinanders mit seinem eigenen Blick auf die Dinge, der einerseits Ähnlichkeit mit dem des Forschers alter Prägung, andererseits mit dem des Archivars aufweist. Matthias Beckmanns Stift unterscheidet nicht zwischen Erhabenem und Banalem, Wichtigem und Unwichtigem, auch dort nicht, wo er sich dem Heiligen oder der Kunst zuwendet, ganz gleich, ob sie im Museum oder in der Kirche präsentiert beziehungsweise betrachtet wird. Ein Haufen Pflastersteine oder eine Kabeltrommel ist ihm dieselbe Konzentration wert wie ein Altarraum oder der Gekreuzigte selbst. Zumindest auf dem Papier ist ihm kein Ding an sich bedeutsam. Erst durch die Aufmerksamkeit, die es erhält, wird es aus der Beliebigkeit „alles Möglichen“ herausgehoben. Dementsprechend kann für die Beckmann’sche Linie auch das scheinbar Nebensächlichste würdiger Anlass sein, sich in Bewegung zu setzen. Dabei hinterlässt sie zahlreiche Spuren, die ins Reich der Diskurse führen, um sich im nächsten Moment ebenso autark jeglicher Festlegung auf einen bestimmten theoretischen Ansatz zu entwinden. Bevor die Blätter irgendeine Form interpretierenden Bedeutungstransfers gestatten, sind sie, was sie zeigen, ein zur Linie gewordener Mann zum Beispiel, der auf einer Leiter steht und Mörtel verspachtelt. Dieser schlicht konstatierende erste Blick darf für den Betrachter, dem die Fülle der Details und die Virtuosität, mit der Beckmann sie sichtbar macht, die Sprache verschlagen, durchaus der letzte bleiben. Gleichwohl liegt die Vermutung nahe, dass einem Künstler, der sich seit Jahren zeichnend durch die Schauräume und Abstellkammern der Kunstgeschichte bewegt, die vielfältigen Verweise und Assoziationen, die sich in seine Linien eingeschlichen haben, hochbewusst sind. Und so entwickelt sich hier in der Johanniterhalle zwischen den Bildern der alten Sammlung, die in der romanisch-gotischen Architektur einer ehemaligen Kirche ihren Platz einnehmen, und den eben entstandenen Zeichnungen ein vielgestaltiges Wechselspiel der Blicke und Beziehungen, vergleichbar dem inneren Pingpong beim Betrachten von Vexierbildern. Die Darstellung des Raumes in den Zeichnungen, die sich scheinbar von selbst aus der vorgefundenen Räumlichkeit ergeben hat, verweist zugleich – als wäre sie Zitat – auf die Räume der alten Bilder, in denen 500 Jahre zuvor Christus bei Lazarus gespeist oder der heilige Hubert Brot und Wein an das Volk ausgeteilt hat. Das Spiel der Verweise und Bezugnahmen endet aber nicht an den gebauten, noch an den gezeichneten Mauern: Die Handwerker, die hier und heute Schächte ausstemmen, Kabel verlegen, Fugen auswaschen, rücken in diesem Kontext verhalten ironisch in die Nähe der Zimmerleute, Schmiede, Händler und Würfelspieler bei Hostienwundern und Kreuzabnahmen. In der spätmittelalterlichen Kunst waren diese vielfältig beschäftigten Randfiguren unübersehbarer Teil des heiligen Geschehens. Auf den Zeichnungen Matthias Beckmanns bereiten sie wiederum den Boden für das, was da kommt – diesmal im Namen der Kunst. Es bleibt offen, ob sie eine tiefere Bedeutung haben, sicher ist, dass ohne sie hier und jetzt weder alte Tafelbilder noch neue Bleistiftzeichnungen hingen. Immer wieder blitzt so unterschwellig der anarchische Witz des Zeichners Beckmann auf, der in allem das findet, was er sehen will, und von dem selbst nichts zu sehen ist außer Füßen, die in knittrigen Plastiküberschuhen stecken, damit der neue Boden nicht Schaden nimmt. Dafür zeichnen wiederum die Handwerker verantwortlich, ganz gleich, ob die Baustelle eine Kirche oder ein Museum ist.

 

 

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