Beatrice Lavarini

Matthias Beckmann – „Zeichnen aus einem Guss“

 

Matthias Beckmann nennt den Zyklus von Zeichnungen, den er für die Ausstellung in der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst geschaffen hat: „Kirchen“. Er hat in den Jahren 2002 bis 2003 in zwölf romanischen Kirchen in Köln gezeichnet und für die Veröffentlichung dieser Arbeit 52 schwarz-weiß Zeichnungen ausgewählt. Die Bleistiftzeichnungen sind vor Ort entstanden. Die Abfolge der Arbeiten im Katalog wurde von ihm festgelegt und bildet bereits einen wesentlichen Teil seines künstlerischen Konzepts. Der Katalog ist wie ein Künstlerbuch, als eigenständige Komposition angelegt. Spannung, die sich durch Verwandtschaften und Kontraste aufbaut, prägen die Kombinationen, die er für die einzelnen Seiten ausgewählt hat.

Blättert man ihn nach dem Prinzip der Daumenkinos zügig durch, so können sich wie bei einer langsamen Autofahrt, beim Blick durch die Windschutzscheibe, fotografische Ausschnitte, manchmal auch filmische Sequenzen ergeben. Die Zeichnungen bilden einen geschlossenen Zyklus, ermöglichen wie bei einem Panorama einen konzentrierten Rundgang durch die Kirchen. Gleichmaß, und der Wille zu Einheit, die bereits den Zeichenstil charakterisieren, betont der Künstler durch das Motiv des Weihwasserbeckens, das wie Alpha und Omega, Ouvertüre und Finale der Zeichenserie bildet. Ein hermeneutischer Zirkel entsteht. Mit dem Symbol des Wassergefäßes, spielt der Künstler eine Art aquatische Kosmogonie an, Leben und Tod werden angedeutet. Das Wasser kennzeichnet unsere Präexistenz und unsere Existenz post mortem. Der rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade schreibt: „Das Eintauchen kommt auf der menschlichen Ebene dem Tod gleich, auf der kosmischen Ebene der Katastrophe (Sintflut), die von Zeit zu Zeit die Welt im Urozean auflöst. Das die „Formen“ und die „Geschichte“ aufhebende Wasser hat Kraft zu reinigen, um zu schaffen und wiederzugebären, denn der welcher in ihm untertaucht, stirbt, und wenn er aus ihm entsteigt, ist er gleich einem Kinde ohne Sünden und ohne Geschichte, das eine neue Offenbarung empfangen kann, und ein neues, eigenes Leben beginnt.“[i]

Im Gegensatz zu seinen früheren Zeichenserien wählte der Künstler für die Kirchen ein annähernd doppeltes Format. Die Zeichnungen haben eine angenehme mittlere Größe von 34, 4 x 26, 8 cm. Die Verdoppelung des Formats erachtete der Künstler aufgrund der Monumentalität der Kichenräume für notwendig; außerdem wollte er sich vorwiegend auf die Darstellung von Gegenständen, die sich nicht bewegen, konzentrieren, kaum Menschen malen. Er hatte also beim Beobachten und Umsetzen viel mehr Zeit und Ruhe.

Beckmann hat sich in seinem künstlerischen Werk ausschließlich auf die Zeichnung konzentriert. Am Zeichnen fasziniert ihn die Möglichkeit Abbilder zu schaffen, zu erzählen, der Erfindung und der Wahrnehmung sofort, unmittelbar Ausdruck zu verleihen. „Beim Zeichnen kann ich“, sagt er, „schnell, direkt und einfach eine Welt zusammenfügen, ohne weiteres Material zu verwenden.“[ii] Zeichnung ist bei Beckmann eine Möglichkeit intuitiver und verdichteter Darstellung. Mit ihr drückt er in einem fließenden Prozess seine individuelle Wahrnehmung der Welt aus, schafft er im Wirkungsfeld des freien Linienspiels seine Formen.

Sein Zeichenstil lebt von der Souveränität und Grazie der Linien. Mit kühner Bescheidenheit, völlig unaufgeregt und innerlich sicher vertraut Beckmann diesem einfachen Gestaltungsmittel, wählt es zu seinem Ausdrucksmedium. Die Linie reizt ihn, weil sie ihm ein summarisches Arbeiten ermöglicht, weil er sich herausfordern kann mit wenig viel auszudrücken. Die Offenheit mit der er die Linie verwendet, regt den Betrachter an, die Zeichnungen weiter zu ergänzen. Der Betrachter wird zum Mitschöpfenden.

Die Linie erfordert vom Künstler höchste Konzentration, mechanisches, gleichförmiges, abgelenktes Arbeiten ist unmöglich, wäre auf dem Papier sofort sichtbar. Eleganz der Kontur, Schönheit im Lineament, Balance zwischen weißer Fläche und schwarzem Strich sind anmutige Ergebnisse der Klassizität ausstrahlenden Zeichnungen. Beckmann umgreift vor allem die Außenhaut der Gegenstände mit seinen Linien, konzentriert sich auf die Darstellung von Umrissen. Man könnte ihn in der Sprache der Dürerzeit einen „Reißer“ nennen. Reißer waren zu Lebzeiten Dürers, die Künstler, die in den Werkstätten zeichnerische Entwürfe ausführten. Wir finden den Wortstamm noch heute in Begriffen wie Reißbrett, Reißzeug, Reißnagel. Mit dem Umriss wird der Gegenstand gezeichnet und durch die Linie von seiner Umgebung abgegrenzt. Das gilt für den Gegenstand als Ganzes und auch für seine Teile.

„Draw a distinction“ mit diesen Worten beginnt der englische Logiker und Mathematiker George Spencer Brown ein Kapitel in seinem Werk „Laws of Form“.[iii] Ziehe, entwerfe, treffe eine Unterscheidung könnte man diese Maxime übersetzen. In ihr bündelt sich auf elementare Weise die anspruchsvolle Aufgabe, der sich Beckmann stellt. Zeichnen bedeutet abstrahieren, auswählen, filtern, reduzieren. Zeichnen ist ein Akt geistiger Verdichtung. Der Zeichner schafft ein neues Universum, erfindet eine bestimmte visuelle Logik, verknüpft kühn und frisch die Objekte, erweitert oder verkürzt Perspektiven.

Den Zeichnungen wohnt, wie schon der Titel „Kirchen“ andeutet, Universales, Exemplarisches inne. Der Künstler legt mit seinem Zeichenstift einen Filter auf die Kirchen, vereinfacht komplexe Zusammenhänge, wählt aus einer großen Fülle, individuelle und markante Ansichten und Details aus. Seine Methode ist nicht identisch aber verwandt mit der Struktur der Serie, ein Grundprinzip moderner und zeitgenössischer Kunst, Literatur und Musik. Das Spiel mit Wiederholungen, Ähnlichkeiten, Verdoppelungen und damit das Herstellen von Mehrdimensionalität, von Pluralität und Gleichwertigkeit prägen sowohl den formalen Prozess der Zeichnungen als auch den geistigen Entwurf, der hinter ihnen steht.

Mit den Zeichnungen, die in einem Zug, in einem Fluss durch die Übereinstimmung von Geist und Körper, von Idee und Werkzeug zustande kommen, schafft Matthias Beckmann einen raffiniert einfachen Gegenpol zu der Welt der oberflächlichen Reproduzierbarkeit. Beckmanns Zeichenideal ist das der „Zeichnung wie aus einem Guss“[iv], der vollkommenen Übereinstimmung der Hand mit der Intuition. Seine Zeichnungen spiegeln die Kongruenz, die im Augenblick des Zeichnens zwischen seinem Körper und seinem Geist herrscht. Ein natürliches und organisches Zusammenspiel von Bewusstsein und Unterbewusstsein, von Vernunft und Gefühl gibt ihnen Gleichgewicht. Nie ist Beckmann detailversessen, akribisch oder ausführlich in seinen Zeichnungen, immer geht es ihm um das Ganze. Binnenzeichnungen, Kreuzschraffuren, ausgeprägte Hell-Dunkel Partien vermeidet er bewusst. Er vertraut den großen, geschmeidigen Linien: das Lineament und seine dekorative Kraft, die in der Vielfalt wunderbar geschwungener Ornamente liegen kann, genügen ihm, um den Zeichnungen Ausdruck zu geben. Reduktion erfolgt bei Beckmann, um Schönheit und Erhabenheit durch die Balance von Stil und Inhalt, von weißer Fläche und Linie zu erreichen. Der Künstler offenbart einen heiteren, geklärten, lichten Blick auf die Welt. Er führt den Betrachter in seinen Zeichnungen heraus aus dem Labyrinth. Seine Linien sind wie Knäuel, Fäden die befreien, den Ausweg aus dem Wahrnehmungschaos markieren.

Seine Methode setzt den Urheber voraus, der durch einen deutlich erkennbaren, handwerklich-künstlerischen Akt geistige Konzepte verwirklicht. Mit den thematischen und formalen Reihungen, Variationen und Doppelungen gibt er dem Zyklus Intensität und verleiht ihm einen bestimmten Rhythmus. Jede Variation bildet das hierarchielos nebeneinander gestellte Teilstück der übergreifenden Idee, die in dem Motiv Kirchen steckt. Der Betrachter kann sich auf diese Weise der unendlichen Differenzen des Motivs bewusst werden. Seine Zeichnungen wirken leicht und flüssig. Traumwandlerisch verankern sie sich in unserem Bewusstsein und verändern sanft, ironisch und unbewusst unseren üblichen Blick auf Kirchen.

Im Wiederkehrenden Ähnlichkeiten und Abweichungen entdecken, setzt ein feines und neugieriges Wahrnehmungsverhalten voraus, das uns in der Flut an Eindrücken verloren zu gehen droht. Der Künstler lenkt mit seinen Zeichnungen unsere Aufmerksamkeit auf Stellen in den Kirchen, die wir leicht übersehen könnten, überrascht mit ungewohnten Perspektiven, irritiert mit skurrilen Kombinationen, erheitert mit lustigen Details.

Die Zeichnungen wirken wie Leitmotive in der Literatur, strömen wie Signale in unser Bewusstsein, geben eine Ahnung von einer neuen und schöpferischen Ordnung der Dinge, die der Künstler mit den Ausschnitten, Perspektiven und Proportionen schafft.

Die von ihm auffallend oft gewählte Untersicht korrespondiert mit der demütigen Haltung, die das Betreten eines Kirchenraumes hervorruft. Die Untersicht lädt dazu ein, sich die Blickhaltung zu vergegenwärtigen mit der wir sakralen Räumen begegnen, nachzuspüren, was diese Perspektive im Inneren auslöst, wie sie unseren Körper und Geist verändert. Mit der Untersicht, der Froschperspektive, der Blickhierarchie, die er hier schafft, konfrontieren uns die Zeichnungen auch mit dem Klischee der Kirche als Ordnungsmacht. Der Künstler weicht dieses Klischee angenehm auf, weil er wie zum Beispiel in der Zeichnung in St. Ursula (Abb. 53), die Heiligenfigur nicht vollständig zeichnet. Ausgerechnet der Kopf der Heiligen ist nicht mehr zu sehen. Dies wirkt um so irritierender, als das Buch, das sie in der Hand hält, uns ganz natürlich auch das Gesicht, die Augen, die darin lesen, erwarten lässt. Der Künstler ist in seiner Anschauung frei und gelöst, sein individuelles Empfinden setzt sich durch. Bei dieser Zeichnung ist erstaunlich, das die Heilige durch das Fehlen des Antlitzes nicht abgeschnitten oder amputiert wirkt. Dies liegt daran, dass der Künstler die Linien zart und weich ausfließen lässt; wir können die Sorgfalt und Aufmerksamkeit spüren, mit der die Zeichnung endet. Oben und unten sind in der Zeichnung nicht vollständig wiedergegeben. Sie bekommt dadurch etwas Gleitendes, Wachsendes, Bewegendes. Wir können einen Fotografen oder Kameramann assoziieren, der in seinem Sucher oder Kamera-Auge einen spannenden Ausschnitt gefunden hat, nicht Gegenständlichkeit oder puren Realismus erzielen will, sondern eine Abstraktionsebene anspielt oder bei einem Schnappschuss mehr Gewicht auf die Spontaneität gelegt hat, als auf ein akkurates Ergebnis. Es gibt aber auch einen inhaltlichen Grund für diesen Verzicht. Beckmann wollte in der Zeichnung einen Akzent auf die Jungfrauen legen, die von dem Mantel der Heiligen beschirmt werden, also ihre Rolle, die der Schutzmantelmadonna verwandt ist, herausarbeiten.

Die Heilige ist in der Zeichnung in zwei Sphären zu Hause, die wir als Betrachter nicht eindeutig und mit Sicherheit erfassen können. Wir werden angeregt, uns neu in sie einzufühlen, das Oben und Unten, Positionen, die in unserem alltäglichen Sehen fest und fundamental mit Funktionen und Bedeutungen besetzt sind, anders und kreativer zu fassen. Die Kirchenräume als Räume für Irreales, für eine besondere geistige Welt, für herausgehobene Empfindungen, für die Durchdringung transzendenter Geschehnisse, für die Aufweichung unserer seelischen Steifheiten werden durch Beckmanns Methoden wieder anschaulich.

Es fällt auf, dass sich der Künstler darauf konzentriert hat, Innenräume zu zeichnen. Die Außenarchitektur spielt keine Rolle. Der geborgene Ort, an dem die Kunstwerke und Menschen Schutz finden, sich zurückziehen können, um zu beten, meditieren, betrachten steht im Zentrum seiner Zeichnungen. Wir begegnen meist Kirchen, in denen Stille sich ausbreitet. Nie hat er die Räume gezeichnet, während Gottesdienste oder Andachten stattgefunden haben. Nur vereinzelt gibt es ein paar wenige Blätter auf denen er Kirchenbesucher gezeichnet hat, und wenn, dann nehmen sie nie einen zentralen Platz ein. Seine Zeichnungen können leicht den Eindruck von menschenleeren Oasen vermitteln, die durch die Kraft der Architektur und der Kunstwerke ganz in sich ruhen. Die Einsamkeit und Verlassenheit der Räume, die Lautlosigkeit, das Schweigen, das sie prägt, ermöglicht dem Künstler und dem Besucher Atempausen zu finden, Harmonie zu spüren, inneren Einklang zu empfinden. Die Kirchen treten uns in den Arbeiten von Beckmann als Refugien für die Seele nahe.

In den Zeichnungen hat Beckmann den Alltagszustand der Kirchen festgehalten. Schilder wie „Altarraum Bitte nicht betreten“, „0,30 €“, „Alarm“ tauchen in seinen Zeichnungen auf. Mit ihrer profanen Banalität stehen sie in den Kirchen in einem friedlichen Nebeneinander mit den heiligsten Gegenständen. In Beckmanns Auffassung bilden sakrale und profane Welt keinen Kontrast, sondern stiften als Nachbarn Sinn und wenn er auch nur darin liegen sollte, dass sie uns zum Schmunzeln bringen. Ein feines Verständnis für die Ironie und Skurrilität des Lebens kennzeichnet seine künstlerische Haltung. Die Zeichnungen sind weit entfernt Steifheit und Ernst auszustrahlen. Sie vermitteln mit ihrer unaufdringlichen Lebendigkeit selbstbewusst und souverän, ohne jede Sentimentalität die Schönheit und Zeitlosigkeit der Kirchenräume.

Eine besondere Vorliebe hat der Künstler für Stühle, Bänke und Sitzgelegenheiten. Leere Bänke gliedern die Kirchenräume auf entscheidende Weise. Die Form der Stühle wirkt sich auf die Architektur aus, kann mit ihr in Verbindung treten oder störend wirken.

Kirchenmöbel stellen über ihre Funktion hinaus einen zentralen Teil der Kirchenarchitektur dar. Ihr Zusammenspiel mit den Kunstwerken und der Architektur, also mit allen anderen Einrichtungsstücken, ergibt im idealen Fall ein wohlabgestimmtes Ensemble.

Der Künstler saß auf einem Holzklappstuhl während er zeichnete, dies mag ihn vielleicht unbewusst dazu bewogen haben, seine eigene Situation, die Ursprung seiner Kunstwerke war,  in den Zeichnungen zu reflektieren. Er hat die Kirchen als etwas „Statisches im positiven Sinn erlebt“,[v] ihre Stille und scheinbar zeitlose Atmosphäre, fördern aufrechtes und würdevolles, unaufgeregtes Sitzen. Die Härte der Kirchenbänke motiviert sich gerade aufzurichten, mit dem Körper hochzuwachsen, die Vertikale als himmlische Weltachse zu spüren.

Die Zeichnungen regen dazu an, über das Sitzen nachzudenken. In den frühen Kulturen spielte das Sitzen kaum eine Rolle. Stühle, wie wir sie heute kennen, mit Sitz und Rückenlehne, gehen wahrscheinlich auf die Zeit um 4500 v. Chr. zurück. Die Pharaonen saßen auf Stühlen mit vier Füßen. Stühle waren Machtsymbole. Sitzen war ein Privileg, den Mächtigsten vorbehalten, Symbol für Rang und Würde der Herrschenden. Noch die Stühle in der Renaissance erinnern an diesen Zusammenhang. Sie sehen wie kleine Throne aus.

Das Sitzen auf Stühlen etablierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sitzmöbel verbreiteten sich dann allmählich in allen sozialen Schichten. Im Zuge der industriellen Revolution wurden immer mehr Arbeitsplätze, die sitzend ausgeübt wurden, geschaffen. Im 20. Jahrhundert verstärkte sich diese Tendenz durch den Einzug von Schreibmaschine und Computer. In der modernen Bürowelt steht der Stuhl im Mittelpunkt.

Heutzutage verbringen viele Menschen einen großen Teil ihres Lebens in einer einzigen Körperhaltung: nämlich sitzend. Steife und verspannte Glieder sind ein weit verbreitetes Leiden. Beckmann spürt, indem er dem Betrachter leere Sitzgelegenheiten in den Kirchen vorführt, einen wesentlichen Zustand unserer Gesellschaft auf. Stühle benutzen wir täglich, ohne darüber nachzudenken. Das wird im Kirchenraum anders, dort zu Sitzen ist eine aus dem Alltag herausgehobene Situation. Feierlichkeit, Kontemplation, Innerlichkeit können hier den Menschen wieder an die Wurzeln seiner Bestimmung zurückführen.

Sitzen in heiligen Räumen ist ein anderes Sitzen als wir es von unserem Alltag her kennen. Bewusstes Sitzen – Sitzen um Gott zu suchen oder Kunstwerke anzuschauen, bedeutet eine verinnerlichte Körperhaltung einnehmen, zu rasten um damit vielleicht zu höherer Erkenntnis zu gelangen. Blaise Pascal war der Ansicht, alles Unglück in der Welt rühre daher, dass der Mensch nicht still in seinem Zimmer sitzen könne.

Beckmann hat oft Klappstühle in den Kirchen als Sitzgelegenheiten angetroffen. Sie erinnern an christliche Ideale wie Bescheidenheit, Demut, Armut. Die Mobilität, die sie ermöglichen, gibt dem Sitzen etwas Provisorisches, vielleicht ein Hinweis auf die begrenzte Zeit, die wir auf der Erde verbringen und eine Anregung sich der Vergänglichkeit bewusst zu werden, nicht zu viel Energie in das sich Niederlassen im Diesseits zu investieren.

In den Zeichnungen von Beckmann kann uns die heilende Macht, die Kirchenräumen ausströmen, bewusst werden.


[i] Vgl. Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. Frankfurt, 1986, S. 228.

[ii] Matthias Beckmann im Gespräch mit der Autorin am 14. 6. 2004

[iii] Vgl. George Spencer Brown: Laws of Form, New York, 1979, S. 3. Den Hinweis auf Spencer Brown verdanke ich dem brillianten Aufsatz “Draw a distinction” – Ansätze zu einer Medientheorie der Handzeichnung“ von Hans Dieter Huber, veröffentlicht in: Deutscher Künstlerbund e. V. (Hrsg.): Zeichnen, Nürnberg 1996, S. 8-21.

[iv] Der Begriff stammt vom Künstler. Er verwendet ihn in seinem unveröffentlichten Text „Gedanken zu der Serie „Kirchen“.

[v] Matthias Beckmann im Gespräch mit der Autorin am 14. 6. 2004

|||