Stefan Rasche

Vermeintliche Sachverhalte

 

„Mehr Licht“ waren die mutmaßlich letzten Worte des Johann Wolfgang von Goethe. „Mehr Licht“ hat auch Matthias Beckmann eine 16-teilige Serie von quadratischen Bildtafeln betitelt, die, in Lasurtechnik auf grundierter Tischlerplatte ausgeführt, zwischen Malerei und Zeichnung steht. Was immer der greise Dichterfürst mit seinem finalen Ausruf gemeint haben mag – für den Nachgeborenen ist das berühmte Diktum Programm, um sich der Welt der optischen Phänomene in exemplarischer Inszenierung anzunehmen. Daß er dabei nicht auf metaphorische Konnotationen verzichtet, dass er das Licht auch in seiner religiösen und geistesgeschichtlichen Bedeutung thematisiert, etwa als Quelle der Erkenntnis und Erleuchtung, unterstreicht seine – freilich ironische – Wahlverwandtschaft.

Zunächst jedoch lesen sich die seriellen Tafeln wie Illustrationen aus einem physikalischen Lehrbuch. So dient die zeichnerisch präzise, scharf konturierte und schematische Darstellungsweise der Gegenstände zuallererst der knappen Schilderung des Sachverhaltes. Von allen abkömmlichen Details befreit, scheinen sie – bildzentral und ohne Schlagschatten – über einer blauschwarzen Fläche zu schweben. Jeder szenische Illusionismus wird dadurch vermieden; und das umso mehr, als der Künstler – geht es um die räumliche Ausdehnung des Lichtes – für den Versuchsaufbau eine stark vereinfachte Perspektive wählt. Behandelt er stattdessen den Augensinn, so wird auch der Mensch seiner Individualität enthoben und als standardisiertes Profil ins Bild gesetzt.

Diese formelhafte, leicht rezipierbare Wiedergabe, die bisweilen an Piktogramme erinnert, also internationalen Bildsymbolen nahe kommt, macht sich Matthias Beckmann auf eigene Weise zunutze. Er spekuliert mit ihrer optischen Kreditwürdigkeit, indem er nicht die Gegenstände selbst, sondern ihre Bestimmung und die durch sie bezeichnete Situation einem vorschnellen Zugriff entzieht. Denn obwohl die einzelnen Gerätschaften – ein Tisch, eine Lampe, ein Stromkabel oder ein Fernglas – über jedes Misstrauen erhaben scheinen, erweisen sie sich als Requisiten einer doppelbödigen Inszenierung, die den vermeintlichen Sachverhalt empfindlich in Frage stellt.

Die leuchtende Schnur, im Bogen über eine Lampe geschlagen, lässt an einen Stromkreis denken, ohne an diesem teilzuhaben. Welchen Zwecken dienen die beiden Kabel, die sich in elegantem Schwung aufeinander zubewegen? – und sich doch knapp verfehlen? Aus einer schwebenden Lampe tropft kugelförmig Licht herab, das exakt der Größe der Glühbirne entspricht. In ähnlich suspekter Formverwandtschaft fällt ein Lichtkegel auf die runde Platte eines Tisches, entlädt sich ein Blitz neben einem identisch gezackten Tannenbaum. Und auch die Lichtstrahlen, die aus mehreren Taschenlampen oder einem selbstleuchtenden Fernglas aufeinandertreffen und sich zur Schnittmenge von maximaler Helligkeit ergänzen, ergeben – ganz ohne Streuverlust – eine allzu symmetrische Figuration.

Ähnliche Irritationen lösen auch jene Bilder aus, mit denen Matthias Beckmann das Augenlicht des Menschen thematisiert. Von einer Lichtquelle rückseitig angestrahlt, tauchen Kopf und Kerze als dunkle Silhouetten auf, wobei selbst die Flamme das Gegenlicht komplett zu absorbieren scheint. Daß sich Ein- und Ausfallwinkel bei der Weiterleitung des Lichtes entsprechen, ist sicher keine Neuigkeit. Neu ist dagegen die Interpretation des Künstlers, der das optische Gesetz symbolisch überhöht, indem er den Blickkontakt zwischen mehreren Personen als regelmäßiges Dreieck aus einem dünnen Sehstrahl beschreibt. Wie das Bild der Welt in unseren Kopf gelangt, veranschaulicht schließlich die letzte Tafel der Serie; und auch hier erweist sich die Richtung der Projektion als doppeldeutig, zumal sich das einfallende Licht, die passive Wahrnehmung, untrennbar mit dem aktiven Gesichtsfeld des Menschen verbindet.

Ebenso von analytischer Präzision wie von spielerischer Kombinationslust geprägt, gerade so, als wären sie aus einem Baukasten zusammengefügt, wecken seine Bilder Erwartungen nach einem verbindlichen Sinngehalt, der dem Betrachter jedoch verweigert wird. Und das, obwohl – oder gerade weil – sich der Maler einer ebenso eingängigen wie reduzierten Gestaltungsweise bedient. Statt unmissverständliche Lösungen zu offerieren, legt Matthias Beckmann verschiedene, sich oftmals widersprechende Fährten aus, denen mittels formaler Logik nicht nachzukommen ist. Indem sie unsere vordergründige Realitätsauffassung demontieren, öffnen sich seine Arbeiten einer assoziativen Vieldeutigkeit. In diesem Sinne zeigen sich seine Bilder nicht als Abbilder von Wirklichkeit, sondern als Modelle einer erweiterten Wahrnehmung.

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