Franz Joseph van der Grinten

Über Matthias Beckmann

 

Die Zeichnungen von Matthias Beckmann sind demonstrativ und exemplarisch. Nicht freilich in dem Sinne, die Möglichkeiten des Zeichnens exemplarisch zu demonstrieren. Alles Individuelle vielmehr, alles Handschriftliche ist in ihnen zurückgenommen, Zeichnen als eine objektivierende Tätigkeit dienstbar. Es soll zeigen, indem es bezeichnet, unmißverständlich, ohne jede vielleicht gar poetische Abirrung. Spröde, streng, zur Ruhe gebracht; die Beunruhigung allenfalls ist die des Betrachters, der sucht: er ist auf sich selbst verwiesen, erkennt sich vielleicht und wäre dann befremdet, aber immer ja findet man, was man findet, in sich selbst; Anonymität und Gleichmaß heben sich bei aller Begegnung erst durch die Nähe auf, unsere Anteilnahme verändert ihre Objekte auf uns zu.

Die Gestalten auf den Zeichnungen von Matthias Beckmann machen die Annäherung nicht leicht. Beunruhigend schon, dass sie, auch wo sie in der Mehrzahl erscheinen, immer die eine zu sein scheinen, das Exempel. Matthias Beckmann sieht selbst seine Zeichnungen in der Nähe der Piktogramme, der formelhaften Bildzeichen also, die als Hinweise auf das erklärende Wort, die lesbare Schrift ersetzen. Aber die seinen fordern zu nichts auf, sie erklären nicht. Was sie zeigen, scheint das Äußerste an Ordnung zu sein, aber das Sosein irritiert, es legitimiert sich nicht logisch, es blickt stumm. Alle Emotionen bleiben außerhalb.

Was dem Betrachter, dem denkend schauenden, seine Sicherheit, die des Gewohnten nimmt, ist, dass die im Gleichmaß behauptete Identität sich schon durch bloße Wiederholung in Frage stellt. Zweimal das gleiche Gesicht sind zweierlei Wesen, und da er sie nicht unterscheidet, ist es des einen so wenig gewiß wie des anderen. Matthias Beckmann arbeitet in Serien, aber auch sie erklären sich nicht wirklich. Nichts etwa lässt vermuten, warum in einer Abfolge von Köpfen eine Bombe oder ein Hammer an die Stelle eines Kopfes tritt. Beunruhigung aus dem scheinbar ganz Geregelten. Der Künstler hält sich das, was er sichtbar macht, auf Distanz, er gibt sich unberührbar.

Die Serien: Bildgruppen auf einander bezogen, auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Das mag schon durchs bloße Format geschehen wir vor allem in den Gruppen der jeweils „Sieben Quadrate“, deren motivische Bindung irrational bleibt und die, in Doppelreihe angeordnet, jeweils den Platz eines Feldes leer lassen. Der Zeichner assoziiert frei, er arbeitet nicht zyklisch, weder Vollständigkeit noch Folgerichtigkeit ist angestrebt, sondern ein einfaches, durch Klarheit der Machart tragfähig gemachtes Miteinander. Mag in den einzelnen Komplexen ein Grundthema angeschlagen sein, die Hausform etwa, das Gefäßoval oder die Doppelung, so treibt bei aller Eingrenzung das Einzelne darüber hinaus schon dadurch, daß Flächigkeit und Raumandeutung, Umrißhaftigkeit und die Abschattierung des Körperlichen, Lichtlosigkeit und Strahlung, Positiv- und Negativzeichnung einander entsprechen, ergänzen oder sogar überschneiden.

Die Negativzeichnung setzt den größten zeichnerischen Aufwand voraus, weil sie, nur die Linien sorgsam aussparend, die ganze Hintergrundfläche mit der Dichte der Zeichenstriche füllt; die weiße Lineatur in der ebenmäßigen Dunkelheit steigert so ihre Wirkung ins Signalhafte, denn auch die Körperlichkeit ist damit aufgehoben. Die „Schwarze Serie“ beschränkt sich auf dieses Stilmittel ausschließlich.

Ist Planimetrie die Grundlage alles rein Zeichenhaften, so wird, wenn etwas Figur, beispielhaft anwesende figura, werden soll, nicht Raum fingiert im Sinne der Perspektive, sondern das Körperhafte demonstriert sich per Isometrie, will sagen: in schräger Parallelverschiebung. So bei „Figur und Sockel“ und dem „Regalsystem“. Auch hier ist alles von unmissverständlicher Klarheit, aber von rationaler Erklärbarkeit fern. Mag der Sockel selbst Figur sein, dann ergibt sich durch gleichartig wechselnde Eingriffe so etwas wie ein System, aber der Sockel, der die in ihm eingeschlossene Figur jeweils nur partiell freigibt, tut dies allenfalls mit einer Systematik, die sich selbst verhehlt. Sockel dann als Träger von Figuren haben nur in der gleichen Größe ihren gemeinsamen Nenner; und als ganz oder partiell geöffnete Schreine schließlich lassen sie das, was in ihnen untergebracht ist, wie Requisiten eines absurden Theaters erscheinen, das nicht gespielt wird. Im Regalsystem wird auch der Mensch ganz und gar zum Requisit.

Bei den „Dingen des Menschen“ gibt dann zwar der Mensch den Dingen das Maß, aber er ist jeweils in seiner Haltung auf ein planimetrisches Prinzip gebracht, dem die beigeordneten Felder als Quadrate, Dreiecke, Parallelogramme, Kreise entsprechen. „Wasser, Erde, Luft“ werden durch das für sie jeweils charakteristische Gebaute in der leeren Fläche evoziert, in der sie für das Auge eigentlich abwesend sind.

„Schöner Wohnen“ nähert sich scheinbar der Werbung an. Jeweils ein attraktiver Einrichtungsgegenstand präsentiert sich, aber die begleitenden Kleinabbildungen entwickeln, anstatt ihn zu erläutern, ein assoziatives Eigenleben; die Identifizierung schafft nicht Identität, sondern eine eher unwägbare und offenbleibende Gemeinsamkeit. Auch die „Bürogeschichten“ scheinen auf den ersten Blick Erläuterungen, Angaben, Verhaltensmuster, Gebrauchsanweisungen zu geben. Flächig dicht, anstatt wie sonst in offener Weite, erzählen sie aber wortkarg und unterschwellig Szenen: den Tritt auf ein Bild, den gekippten Wagen, die weite Geschiedenheit von Partnern am selben Tisch, die Anwesenheit des Abwesenden, die Niedergestrecktheit am Fuße des Möbels, die Schlinge, die zu Fall bringen könnte.

Die stille Welt der Isolation, eine vermeintlich vertraute, durchaus die des Menschen. Menschlich ist sie aber vor allem durch ihre Machart. Fern aller Emotion und Handschriftlichkeit zurückhaltend, ist sie doch alles andere als mechanisch. Die Dichte der eher kurzen, oft ansetzenden Striche hat eine eigene Fluktuation, und selbst, wo sie nahezu völlige Dunkelheit bewirkt, vibriert diese und atmet quasi Leben, das sich still verhält, aber aus gebändigter Kraft. Aus der Schule zweier großer Zeichner hervorgegangen, die beide zeichnend dem Impuls seine ganze Freiheit geben, ist Matthias Beckmann zu einem Zeichner geworden, der, wie es scheint, unaufstörbar in sich ruht. Und das durchaus fruchtbar und von einem Gewicht, das Beachtung verdient.

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