Brigitte Reinhardt

Matthias Beckmann, Zeichner

 

Selten konzentriert sich ein Künstler so ausschließlich auf ein bildnerisches Medium wie Matthias Beckmann auf die Zeichnung; von Anfang an arbeitete er gegenständlich.

Beckmann entwickelte durch ständige Schulung und Erfahrung seine spezielle Sprache, die mit dem Bleistift gleichsam in einem Zug durchgeführte, in klassischer Klarheit konturierende Linie. Die malerisch oder plastisch modulierende Binnenstruktur, die seine Bilder der 1990er Jahre prägte, lässt er hinter sich.

Das Skizzenbuch in der Hand beobachtet Beckmann mit wachem Blick, bevorzugt in „hervorgehobenen“ Institutionen. Er führt seine Zeichnungen gleichsam als Tagebuch immer vor Ort aus, die Fotografie als Hilfsmittel lehnt er ab. Beckmann arbeitete bereits im Deutschen Bundestag, im Fraunhofer Institut Stuttgart, in der Autoproduktion oder in Kölner Kirchen. Besonders reizt ihn aber das Museum und dessen spezielle Welt. Als Künstler misst er sein Tun auch an den Werken der Vergangenheit, und die findet er dort.

Mit festem Strich umreißt  Beckmann Exponate, eingebunden in ihrer Umgebung oder auf dem weißen Blatt isoliert. Er wählt ungewöhnliche Perspektiven und Ausschnitte und gibt mit verblüffender Sicherheit und Präzision Räumliches wieder. Dabei wertet er nicht. Sein gleichsam fotografischer Blick berücksichtigt anscheinend ohne Emotionen die unterschiedlichsten Motive nebeneinander. Der Zeichner notiert in gleicher Weise Stuckplastik wie technische Geräte, repräsentative Bilder und Tapetenmuster, den Prunkkelch und das Auto auf der Straße, die typischen modernen Museumsstühle und Absperrseile. Spiegelungen und Überschneidungen der Glasvitrinen bieten überraschende Konstellationen. Es gibt kein Bildzentrum. Dies unterstützt der gleichmäßigen Verlauf des Striches, der nicht an- oder abschwillt, und der dennoch die Vitalität des unmittelbaren Erlebens vermittelt.

Es geht Beckmann also weniger um Dokumentation oder direkte persönliche Auseinandersetzung mit dem Meisterwerk. Der Künstler nimmt vielmehr die Gesamtsituation wahr und beobachtet mit leisem Humor: Wie der hohe geistige und ästhetische Anspruch der Kunst und ihrer Vermittler zusammenprallt mit profanen Dingen und Situationen des Museumsalltags, etwa dem technischen Gerät oder den Reaktionen von Besucher/innen, wie ein Blickwechsel Inszenierungen ad absurdum führt. Im sachlich neutralen Aufzeichnen solch  spannungsvoll-skurriler Situationen sind seine handschriftlichen Notate manchen zeitgenössischen  künstlerischen Fotografien von Museumsräumen, zum Beispiel von Candida Höfer oder Louise Lawler, verwandt.

„Mit Humor, Einfühlsamkeit, Neugier und Genauigkeit sind seine (Beckmanns) Zeichnungen Verknappungen, Verdichtungen visueller Erfahrungen, die sich nur auf den ersten Blick schlicht präsentieren. Sie sind Angebote, die Rätsel aufzunehmen, die Assoziationen nachzuempfinden, neue Analogien aufzuspüren.“(1)

Beckmann verwendet alternativ zwei Papierformate. Er fasst seine Zeichnungen zu thematischen Folgen zusammen, die Motive gleichsam filmisch umkreisen und in ausschnitthafter Nahsicht wie im Überblick präsentieren. Bei seiner ersten, 2002 in Paris entstandenen Museumsserie wird dieser Eindruck durch die Leporelloform noch verstärkt. Thema ist hier die Figur im Raum beziehungsweise die Konfrontation einer Besucherin mit berühmten Werken der Klassischen Moderne. Deren spielerisch humorvolles Erfassen spiegelt auch die persönliche Nähe des Künstlers zur Freundin.

In anderen Museumsfolgen treten Menschen eher vereinzelt auf. Im Bilderbuchmuseum Troisdorf und im Von der Heydt - Museum Wuppertal sind sie 2002 als Besucher und Handwerker beim Renovieren und Ausstellung - Einrichten beobachtet, im Graphikmuseum Pablo Picasso Münster dringt Beckmann zwei Jahre später bis zu den Büros vor. Bei den Ansichten aus Kölner Kirchen stehen 2004 sakrale Skulpturen und die romanische Architektur im Zentrum, und auch die Waiblinger Zeichnungen sind auf die historische Fachwerkarchitektur des Museums konzentriert. Die Wunderkammern kommen ganz ohne Menschen aus. Nur einmal verrät die zeichnende Hand des Künstlers in Ulm dessen Existenz. 

 

(1) Thomas Sternberg, in: Matthias Beckmann, Kirchen, München 2004, S. 69.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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